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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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muß inzwischen eine Stange Geld wert sein. Du hast gut für dich
selbst gesorgt, Sharon.«
    Das war nicht meine Mutter, die da
sprach — konnte es nicht sein. In der Rangfolge
gottloser Verhaltensweisen rangierte das unverheiratete Zusammenleben gleich
neben der Scheidung.
    »Ich nehme an, deine Zustimmung ist ein
Trick, mit dem du mich dazu bringen willst, ihn zu heiraten«, sagte ich.
    Ma seufzte und streichelte die Katze.
»Sharon, du hörst dich an wie eine Zehnjährige. Das ist kein Trick. Ich möchte
nur, daß du weißt: Wenn es zu einer Heirat kommt, dann mußt du sehr, sehr
vorsichtig sein.«
    Jetzt wußte ich, daß ein fremder Geist vom Körper meiner Mutter Besitz ergriffen haben
mußte. Jahrelang hatte sie mein Singledasein beklagt und mich praktisch
angebettelt, jeden irgendwie vorzeigbaren Mann, der vorbeikam, zu heiraten.
Hätte es die Institution der im voraus arrangierten Ehen noch gegeben, sie
hätte mit mir gleich nach dem Verlassen des Wochenbetts einen Heiratsvermittler
aufgesucht.
    Ich fragte: »Was meinst du mit
›vorsichtig‹?«
    »Genau das.« Sie nahm einen Schluck
Brandy und stellte das Glas gleich vor sich ab. »Und nachdem wir gerade beim
Thema sind, erzähle ich dir besser, warum ich diese Pilgerfahrt von einem
meiner Kinder zum anderen unternehme. Ich möchte ihnen die Nachricht persönlich
überbringen. Sharon, ich habe deinen Vater verlassen.«
    Das war eine Erklärung, die einen
Menschen sprachlos machen kann. Und wie besinnungslos: Mein Verstand war leer.
Ich konnte einfach keinen Gedanken mehr fassen.
    Nach einer, wie mir schien, sehr langen
Pause fügte Ma hinzu: »Mit John und Charlene habe ich bereits gesprochen und
ihnen das Versprechen abgenommen, mit niemandem darüber zu reden, bis ihr
Kinder es alle wißt. Ich erwarte von dir das gleiche, bis ich mit Patsy und
Joey gesprochen habe.«
    Endlich fand ich wieder Worte. »Ma —
warum?«
    Sie schwieg.
    »Was hat er dir getan?«
    Jetzt war sie es, die sich amüsierte.
»Andy? Mir etwas getan?«
    »Also, das muß er doch. Du verläßt doch
einen Mann nicht ohne Grund, mit dem du mehr als vierzig Jahre lang verheiratet
warst.«
    Wieder schwieg sie und beugte sich zu
Ralphie hinunter, der eifersüchtig um ihre Beine strich und auf ihrem schwarzen
Hosenanzug gelbe Haare hinterließ. Schließlich sagte sie: »Sharon, in diesen
rund vierzig Jahren hatte ich kein eigenes Leben. Ich war Andys Frau, die
Mutter von euch Kindern, dann Schwiegermutter und Großmutter.«
    »Reicht das nicht?«
    »Würde dir das reichen?«
    »Nein, aber du bist... anders.«
    »Du meinst, ich bin deine Mutter, und
mehr darf ich mir nicht wünschen. Aber das tue ich. Schon seit langem.«
    »Und du glaubst, du findest es, indem
du Pa verläßt?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich muß es
versuchen. Was immer folgt, wenn ich ihn verlasse, es wird zumindest etwas
anderes sein, als wenn ich bei ihm bliebe. Ich bin zweiundsechzig Jahre alt.
Ich möchte noch etwas für mich selbst haben, bevor ich sterbe.«
    »Wie denkt Pa über das alles?«
    »Er ist natürlich nicht gerade Feuer
und Flamme für die Idee. Aber du kannst von einem Mann, der sich seit fünfzehn
Jahren draußen in der Garage versteckt, nicht erwarten, daß er fürchterlich aus
der Fassung gerät.«
    Damit traf sie einen Punkt, wenn sie
sicherlich auch übertrieb, was die Dauer anging. In den letzten Jahren schien
Pa mehr ab- als anwesend. Oft schlief er sogar in der Nacht in seiner Werkstatt
auf einem Feldbett, das er sich dort, wie er behauptete, für ein Nickerchen
aufgestellt hatte. Ich stellte mir vor, wie für meine Mutter die Tage nun
aussahen, nachdem ihre Kinder über die Westküste verstreut zwischen San Diego
und Portland lebten. Sie hatte nun weniger zu tun, aber auch nur wenige
Interessen außer Haus, weil sie nie die Zeit gehabt hatte, solche zu
entwickeln. Die Freunde, die zu ihr kamen, waren meist Paare, aber mein Vater
hatte sich immer weniger um Geselligkeit gekümmert. Also blieb ihr nur der
tägliche Kram — spülen, waschen, einkaufen, nicht gebührend gewürdigte
Mahlzeiten bereiten und ab und zu ein Enkelkind hüten.
    Aber passierte so etwas nicht auch
anderen Frauen in ihrem Alter? Was taten die dann? Sie widmeten sich Hobbys,
besuchten Kurse, schlossen sich Clubs an. Warum, um Himmels willen, konnte
meine Mutter nicht, statt meinen Vater zu verlassen, einen Nähkurs belegen?
    Und dann merkte ich, daß da noch mehr
war, als sie mir erzählt hatte.
    »Ma«, sagte ich, »gibt es

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