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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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Herbst, den ich so liebe … weil er so reif und wunschlos unbewußt ist. Die Frucht fällt vom Baume, ohne Windstoß. Und so ist es mit der Liebe der Freunde , fährt Friedrich Nietzsche fort, ohne Mahnung, ohne Rütteln, in aller Stille fällt sie nieder und beglückt. Sie begehrt nichts für sich und giebt alles von sich. 132 Dieses Liebesherbstwort ist für Rohde, wie sehr es auch Wagner und Cosima einschließt, ahnt der Freund wohl, auch wenn der Briefschreiber dem Tribschener Pflanzenköstlerskeptiker zum ersten Mal alle Ehrentitel verweigert und ihn im selben Schreiben ein Exemplar nennt, aber was für eins: Natürlich ist mir Wagner im höchsten Sinne förderlich, vornehmlich als Exemplar, das aus der bisherigen Aesthetik unfassbar ist. 133
    Auch in Tribschen denkt man an den Freund.
    Der Vater nimmt seinen Sohn auf den Arm, spielt lange mit Siegfried, der noch kein halbes Jahr alt ist, und denkt schon weit voraus. Einmal, sagt er seiner Frau, werden sie ihn weggeben müssen. Wenn er zum Mann wird, so notiert Cosima Wagners Worte, »muss er unter Menschen kommen«, also den Weltwiderstand kennenlernen. Sich vielleicht sogar Duellforderungen einhandeln und das Geld seiner Mutter verspielen. Aber so konkret wird Richard Wagner nicht, er begnügt sich mit der Erwähnung von Ungezogenheiten und Schlägereien. Denn sonst würde Siegfried »zum Phantasten« wie Ludwig: ein großes egomanes Kind.
    Dass Wagner zwischen den beiden Eseln mit Prinzipien, Ludwig und Friedrich, durchaus zu unterscheiden weiß, zeigt der Fortgang seines Nachdenkens. Zu Nietzsche werden sie Siegfried geben, bei ihm soll er dann leben, und – so der Vater – »wir werden von weitem zusehen, wie Wotan der Erziehung von Siegfried zusieht. Er wird bei Nietzsche zweimal die Woche Freitisch haben, und alle Sonnabende werden wir Bericht erwarten.« 134
    So nah sind sie sich bereits. Friedrich Nietzsche hat eine neue Familie, Heimat ist für ihn nicht mehr allein in Wagners Musik, sondern bei ihm zu Hause. Richard Wagner muss nicht auf Freud warten, um zu wissen, was der »Vatermord« ist, er hat ihn schon komponiert. »Geh mir aus dem Weg, Alter!«, ruft Siegfried, als ihm Wotan in den Weg tritt. Und der Junge zerbricht den Speer des Vaters.
    Nietzsche ist kein Siegfried-Typ, und Wagner ist nicht Wotan. Dennoch wird genau das einmal zwischen ihnen geschehen.

Cosima und Richard
Wagner, 1872.
    Parsifal und das Lebensabschlusspaar
    Zu Weihnachten ist jeder bei seiner Familie. Also wird Friedrich Nietzsche in Tribschen erwartet, und zwar »mit Jubel« (Wagner). Die Tribschener richten im Advent die »Denkstube« neu ein, jetzt mit Bibliothek, denn Professoren, so argwöhnen sie, können ohne Bücher nicht denken. Und da wäre es doch großartig, wenn Nietzsche in Basel »die Klassiker« bestellen könnte, also den schriftlichen Nachlass der Griechen und Römer. Und da es ein Vorurteil ist zu meinen, bei Büchern komme es allein auf den Inhalt an, hat die Baronin noch einen Vorschlag. Er könne sie auch gleich noch einbinden lassen, »und zwar die Griechen röthlichbraun und die Römer gelblichbraun , (marmorirtes Papier mit Lederrücken, das Papier auch mit bräunlichen Färbungen, z. B. weiss , gelb , und ein kleiner brauner Fleck darein), und die Titel der Autoren auf verschiedenfarbig kleinen Zetteln – oder wie man das nennt – damit man sie leicht unterscheiden könne.« 135 Wenn er aber nun ohnehin schon einkaufen gehe, wäre es nicht übel, er schaue gleich noch beim Spielwarenhändler in der Eisengasse vorbei. Er brauche dort nur den beiliegenden Zettel abzugeben und nachher natürlich alles, was darauf steht, abzuholen. Während Cosima die Wunschliste ausfüllt, webt Wagner unter ihr am Nornenseil.
    Vielleicht wird ihm dabei bewusst, wie riskant und allzeit gefährdet sie das seine gefertigt haben – auch hat er einen Schnupfen und Unterleibsschmerzen –, außerdem verfügt er noch über kein ganz zufriedenstellendes Geschenk für die Baronin, weshalb Friedrich Nietzsche nur wenige Tage später auch Post vom Komponisten bekommt: »Vortrefflichster Freund! Ich begehe einen Akt des ausschweifendsten Vertrauens in Sie, indem ich Ihnen mit diesen Zeilen eine ziemliche Masse von Manuscript werthvollster Art, nämlich den Anfang meiner Dictate von meiner Lebenserzählung, zusende. Meine Absicht dabei ist zwiefach.« 136 Zum einen ist der »vortrefflichste Freund« zum ersten Lektor dieses Berichts eines Lebens bestimmt, wie es überbordender

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