Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
schreibe ich es auf, nicht um Hans anzuklagen (die Mühsale des Lebens waren für ihn zu groß, und er hat nicht gewußt, was einer Frau wohl- und wehtut, da ich immer geschwiegen), sondern weil ich mit Grauen an diese Nacht in Berlin denke und mir die Erfüllung meines Schicksals an ihr recht begreiflich wird.« 148
Erfüllung ihres Schicksals? Aber was hätte ungewisser sein können?
Der Mai des kommenden Jahres fand Richard Wagner erlöst durch den König von Bayern. Eigentlich hatte er nun keine Lebensendbündnisse mehr nötig. Der König mietete ihm eine Villa auf dem halben Wege nach Schloss Berg. Dort residierte Ludwig, der seinen Komponisten in der Nähe wissen wollte und ihn täglich erwartete, um sich vorsingen, vorspielen und vorlesen zu lassen, um mit ihm zu sprechen.
Das Dienerehepaar Anna und Franz Mrazeck sowie Pohl, den Hund, hatte Wagner bereits aus Wien in sein neues schuldenfreies Leben überführt, ins Haus Pellet in Kempfenhausen am Starnberger See. Ende Juni erwartete er Hans von Bülow, den er gern in den Diensten der bayerischen Krone wissen wollte. Außerdem vermisste der neue Leibmusikant des Königs schmerzlich eine Frau; er knüpfte schon alte, im Grunde längst beerdigte Verbindungen neu. Denn wie auch sollte er den Bund interpretieren, den er mit einer Frau hatte, die mit ihrem Mann anreisen würde?
Und dann kam Cosima allein.
Der kränkliche Hans von Bülow war plötzlich noch kränker als üblich geworden, so hatte er seine Frau und die beiden Töchter vorausgeschickt, er werde nachkommen.
Die eine Woche ohne ihn entschied alles. Richard Wagner begriff, dass er gar nicht mehr suchen, nur noch finden musste. Und die Baronin? Formulieren wir es so: Cosima von Bülow hatte keine Wahl. Sie hatte seine Musik immer geliebt, und nun konnte sie den Mann gleich dazu bekommen. Auf Beistand kam es an, unbedingt, aber nicht am Ende aller Dinge, sondern an deren neuem Beginn. Und war sie nicht jung genug, um noch einmal ganz neu anzufangen? So deuteten Richard Wagner und die Baronin von Bülow ihren Spätherbstlebensendbund neu als Frühsommerlebensanfangsbund. Wagners treues Dienerpaar überlieferte hochbetagt die einzigen Augenzeugenberichte. Wie die beiden da so Arm in Arm gegangen seien, was sie mit größter Ausdauer taten, sei nicht zu vermuten gewesen, dass sie einander bei geringeren Graden von Öffentlichkeit losgelassen hätten.
Am 7. Juli traf der Dirigent und Schöpfer von »Des Sängers Fluch« im Haus Pellet ein, noch immer krank und hoch nervös. Die beiden anderen wussten augenblicklich, dass dies nicht die Stunde sein konnte, ihn noch kränker zu machen. Allein es ließ sich auch bei rücksichtsvollstem Schweigen nicht verhindern. Als Hans von Bülow Wagners Schlafzimmertür verschlossen fand und seine Frau dahinter wusste, verlor er die Nerven. Er warf sich auf den Boden und schrie, berichtete Frau Mrazeck. Doch es ging ihm wie allen in vergleichbarer Situation. Dem Außer-sich-Seienden blieb nichts übrig, als sich wiederzufinden oder das, was von ihm geblieben war.
Richard Wagner, der sich unbegabt sah zur Bach-Nachfolge, erklärte sich seine neue Lebenssituation bald musikalisch: Er lebe mit Cosima »wie in einer Bachschen Doppelfuge«.
Nur ging das manchmal auch über seine Kräfte, etwa damals, als Franz Liszt Tochter und Schwiegersohn nach Pest zur Uraufführung seines Oratoriums »Die heilige Elisabeth« einlud, Wagner umdüstert in der Jagdhütte des Königs auf dem Hochkopf saß, in sein Braunes Buch Gedanken an und Hilferufe nach Cosima eintrug und in den letzten Augusttagen 1865 auch die erste Skizze zum »Parsifal«. Die Idee war schon älter, aber nun wurde sie zur Beschwörung. Sein »Parsifal« gegen die »Heilige Elisabeth« ihres Vaters.
Es wurde längst gesagt: Richard Wagners Furcht war nicht ganz unbegründet, denn Liszt hatte die Idee, dass Wagner ihre Ehe zerstört hatte, nie begrüßenswert gefunden. Und nun war sie ihrem Vater und ihrem Mann ganz preisgegeben – womit musste er rechnen? Es galt, ihren katholischen Seelenhorizont zu stärken. Ihren Glauben an Vergebung, Reinheit (zumindest der Absichten) und Erlösung! Und war nicht er, trotz all seiner Gottlosigkeit, der Fachmann für Erlösung? Richard Wagner liest Weihnachten 1869 den »Parsifal«. Cosima und der Professor lauschen, wie sich das für ein Werk dieses Themas an diesen Tagen gehört: andächtig. »Parsifal« verfehlt seine Wirkung auch diesmal nicht. »Erneuerter furchtbarer
Weitere Kostenlose Bücher