Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
Cosima sah sich außerstande, das Ende eines weiteren Lebens zu verfügen. Also kehrten sie resigniert erst zum Ufer, dann nach Zürich zurück und verabredeten, einander über ihre Stimmung und Entschlüsse Nachricht zu geben.
Nicht dass der so Informierte die Welt nicht mehr verstanden hätte. Er war gerade dabei, einen Gemeinschaftssuizid zu komponieren, gegen den Shakespeares »Romeo und Julia« nur ein Schattenspiel, nur ein Scherenschnitt sein würde. Es gibt nichts Wirklicheres als die Welt in den Farben des Abschieds.
In Karl Ritter und Cosima hatten sich zwei unglücklich Verheiratete erkannt. Machte sie diese Erkenntnis nicht zum Paar auf Leben und Tod? Lag in dieser Erkenntnis nicht beinahe schon Liebe? Karl Ritter erklärte seinem Freund, dass er sich nun in jeder Minute bereit zu halten gedenke für Cosimas Entschluss. Der Komponist des so noch nicht dagewesenen Weltabschieds sah sich außerstande, das zu tadeln. Er teilte es Mathilde Wesendonck mit, der Frau, mit der er gerade sterben wollte, zumindest in der Musik. Er sagte Mathilde, dass er dem Freund nicht direkt abraten konnte, »denn in der Liebe zeigt ihr Frauen uns den Weg, und der Mann kann zu seiner Befreiung von der Gemeinheit des Daseins nichts Besseres thun als Euch nachzuahmen, Euch zu folgen, wenn Ihr liebt.« 145
Doch noch kritisiert Richard Wagner das Motiv. Ist eine unglückliche Ehe nicht ein zu trivialer Grund, um den Tod zu wünschen? Schöner sterben! Und vor allem, jeder »Tristan«-Hörer weiß das, nichts übereilen: Langsamer sterben! Der Komponist kennt den Weg. Wagner an Mathilde Wesendonck: »Wie anders näherten wir uns! Wie anders lernten wir uns kennen, und wie anders gestaltete sich uns daraus die schöne Notwendigkeit, im Tode uns zu vereinigen, vereinigt zu sterben! Bei uns haben die Jahre die Blüte gereift: liebte ich Dich sogleich, wie tief und weit verzweigte sich doch erst diese Liebe bis in die feinsten Fasern meines Wesens, ehe ich bestimmt und deutlicher Dir zu gestehen wagte, daß ich mit Dir sterben wollte!« 146
Das hatten die beiden Todesanfänger nicht berücksichtigt, dass auch das Sterben eine Kunstform ist. Dass es darauf ankommt, größer zu werden, weiter zu werden im Abschied, anstatt einfach bloß weg zu sein. Ein Genie erkennt man wohl daran, dass es in der Lage ist, seine Auffassung, die nicht die Auffassung der Welt ist, ihr trotzdem aufzuprägen. Sie für die Dauer eines Hörens vergessen zu lassen, dass sie eigentlich dagegen ist.
Aber auch Richard Wagner befindet sich durchaus nicht immer auf der Höhe der eigenen Einsicht. Inzwischen genügte es ihm sehr wohl, einfach nur weg zu sein. Und zu zweit geht man vielleicht nicht einmal schöner, aber leichter.
Damals hatte er sich ihre Küsse und Tränen doch noch erklären können: Sie hatte Abschied genommen von ihm, von dem vertrauten Gesicht, das schon über ihrer Kindheit gewesen war. Selbstmörder neigen nicht zu mittleren Gemütslagen.
Bald nach ihrer Hochzeit hatte die junge Frau begriffen, dass diese Verbindung ein Irrtum war. Mag sein, Bülow wollte vor allem seinem verehrten Lehrer und Meister Franz Liszt eine Freude machen, indem er dessen doch recht unehelicher Tochter seinen adligen Namen gab. Das Band zwischen Lehrer und Schüler wurde so noch enger. Cosima wiederum, das von wechselnden Gouvernanten aufgezogene, eigentlich elternlose Kind, war auf der Flucht vor sich selbst. Sie nennt ihr Leben vor dem Bund mit Wagner »einen wüsten, unschönen Traum«. Im Frühjahr dieses Jahres, an Blandines Geburtstag hatte sie wie so oft des 19. März sechs Jahre zuvor gedacht: »Vor sechs Jahren war mir um diese Abendstunde recht übel; übel und elend dabei. Wie stumpf und dumpf brachte ich ohne jeden Beistand das Kind zur Welt; wie gleichgültig wurde es vom Vater empfangen! Einzig war in der Ferne Richard um mich besorgt, und ich wusste es nicht. … So elend fühlte ich mich damals, daß ich keinem sagte, daß die Geburtswehen über mich kamen.« 147 Ihr Mann war da, die Schwiegermutter auch und die ganze Dienerschaft, aber sie irrte nachts allein durch die Räume, bis sie mit einem langen Schrei zusammensackte. Man trug sie auf ihr Bett, Blandine – Boni – kam, noch bevor die Hebamme eintraf. »In jedem Haus ist die Erwartung eines Kindes eine Freude, ich wagte es Hans kaum zu sagen, daß ich schwanger sei, so unfreundlich nahm er es auf, gleichsam wie eine Störung seines Behagens. Niemandem habe ich je dies gesagt; jetzt
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