Niewinter 01 - Gauntlgrym
Seine Sinne verrieten ihm, dass das, was nah an ihm vorbeigehuscht war, weitergezogen war. Er entspannte sich ein wenig.
Bruenors Aufschrei beendete seine Erleichterung.
Sofort rannte Drizzt zu der Felsnische, in der sie gelagert hatten. Guenhwyvar folgte ihm dichtauf. Bis der Drow den Eingang erreicht hatte, hatte er beide Krummsäbel gezogen und war bereit, seinem Freund zur Seite zu stehen.
Aber Bruenor kämpfte gar nicht, ganz im Gegenteil. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand der Höhle und hielt die leeren Hände nach vorn, als wolle er sich ergeben. Sein Atem ging flach, fast keuchend, und auf seinem Gesicht malten sich Angst und …
Ja, was?, fragte sich Drizzt.
»Bruenor?«, flüsterte er, denn obwohl auch er etwas Kaltes dort drinnen wahrnahm, sah er nichts, was dem Zwerg einen solchen Schrecken einjagen könnte.
Bruenor schien seine Anwesenheit nicht einmal zu bemerken.
»Bruenor?«, fragte er noch einmal, diesmal lauter.
»Ich soll ihnen helfen«, sagte der Zwerg. »Aber ich weiß nicht, was für Hilfe sie wollen!«
»Sie?«
»Siehst du sie denn nicht, Elf?«, fragte Bruenor.
Drizzt blinzelte forschend in das spärliche Licht der Höhle.
»Geister«, flüsterte Bruenor. »Zwergengeister. Die mich um Hilfe bitten.«
»Was für Hilfe?«
»Wenn ich das wüsste, wär ich ein bärtiger Gnom.« Bruenors Stimme wurde leiser, als er diesen Gedanken aussprach. Ein verwunderter Ausdruck legte sich über sein Gesicht.
Dann wurden seine Augen so groß, dass Drizzt schon befürchtete, sie würden ihm gleich aus den Höhlen springen.
»Elf …«, stammelte Bruenor, als müsse er diesen Laut an einem dicken Kloß in der Kehle vorbeidrücken. »Elf«, wiederholte er. Drizzt bemerkte, dass sein Freund sich noch fester an die Wand lehnte – ohne diese Wand wäre der Zwerg vermutlich umgefallen. Neben dem Drow fauchte Guenhwyvar und kauerte sich wieder sichtlich angespannt zusammen.
Bruenor schnappte nach Luft. Drizzt zog seine Säbel und kam mit geübten Schritten herein, ständig auf der Hut und kampfbereit. Bruenor versuchte etwas zu sagen, aber Drizzt verstand das Wort erst, als er seinen Freund erreichte.
»Gauntlgrym«, hauchte Bruenor.
Jetzt machte auch Drizzt große Augen. »Was?«
»Geister …«, stotterte Bruenor aufgeregt. »Geister aus Gauntlgrym. Sie bitten mich um Hilfe. Irgendein Ungeheuer scheint wieder aufzuwachen.«
Drizzt blickte sich in der Höhle um. Auch er fühlte die Kälte, aber er sah und hörte nichts. »Frag sie, wo es ist«, forderte er Bruenor auf. »Vielleicht können sie uns führen.«
Aber Bruenor schüttelte nur den Kopf und richtete sich wieder auf. Erst bei dieser Bewegung merkte Drizzt, dass das Gefühl verflogen war. Die Geister waren verschwunden.
»Geister aus Gauntlgrym«, flüsterte Bruenor zutiefst erschüttert.
»Haben sie das gesagt? Oder ist das geraten?«
»Sie haben es mir gesagt, Elf. Es ist real.«
Diese Worte klangen zunächst merkwürdig, besonders aus dem Mund von Bruenor, der seit Jahrzehnten mit Drizzt nach Gauntlgrym forschte. Doch bei näherer Betrachtung verstand der Elf die überraschte Reaktion, denn selbst wenn man fest an etwas glaubt, kann die tatsächliche Bestätigung dennoch schockierend sein.
Bruenor blickte einen Moment lang ins Leere, dann blinzelte er, als wäre ihm gerade eine Erkenntnis gekommen. »Das Ungeheuer, Elf«, sagte er.
»Welches Ungeheuer?«
»Es wacht wieder auf.«
Trotz der Betonung begriff Drizzt immer noch nicht, worauf Bruenor hinauswollte.
»Und als es das letzte Mal erwacht ist, ist Niewinter untergegangen«, erklärte Bruenor.
»Der Vulkan?«, fragte Drizzt. Bruenor nickte, als wäre ihm jetzt alles klar.
»Ja, genau. Das ist das Ungeheuer.«
»Das haben sie dir erzählt?«
»Nein«, gab Bruenor zu. »Aber es stimmt trotzdem.«
»Das kannst du nicht wissen.«
Bruenor hörte nicht auf zu nicken. »Du spürst doch, wie die Erde sich regt«, fuhr er fort. »Du siehst, wie der Berg wächst. Er erwacht. Das Ungeheuer erwacht. Das Ungeheuer von Gauntlgrym.« Er sah Drizzt in die Augen und nickte. »Sie haben mich um Hilfe gebeten, Elf, und die werden sie bekommen, oder ich bin ein bärtiger Gnom!«
Er nickte noch entschlossener. Dann rannte er zu seinen Sachen und raschelte mit seinen Karten. »Jetzt kennen wir wenigstens die ungefähre Gegend! Es ist real, Elf! Gauntlgrym ist real!«
»Wir brechen also auf?«, fragte der Drow.
Bruenor sah ihn an, als würde er an seinem Verstand zweifeln, wo die
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