Niewinter 02 - Salvatore, R: Niewinter 02 - Neverwinter
kam Sylora dieser Aufforderung nach. Fünfzig Fuß vor dem Eingang zur Höhle malte sie mit der Spitze des Zepters, ihrer Verbindung zur tatendurstigen Macht des Todesrings, eine Linie in die Erde. Als sie die erste Hälfte des Halbkreises beendet hatte und die Seite des steinigen Hügels erreichte, brodelten die ersten Punkte der Linie vor Lava, denn der Todesring griff tief in die Erde hinein und beförderte die Überreste der Jahrzehnte zurückliegenden Katastrophe ans Tageslicht.
Nach einer zehn Fuß breiten Lücke begann Sylora, die zweite Hälfte ihres Werks zu markieren. Bis auch diese gebogene Linie fertig war, brach bereits die erste Wand aus dem Boden. Geschmolzenes Gestein erhob sich und schichtete sich immer höher auf, während die Mauer über zehn Fuß in die Höhe wuchs.
Sylora kicherte wie ein übermütiges Kind und lachte noch mehr, als der Ashmadai erneut nach ihr rief und um eine Erklärung flehte.
Er erhielt seine Antwort allmählich, während Sylora Salm die Mauer fertigstellte. Sie baute einen schmalen Kanal, der aus der Lücke kam, verwandelte Felsblöcke in kleinere Gebilde und zwei tote Bäume in Wachtürme.
Aus dem Wald kamen weitere Ashmadai gelaufen, die alle mit großen Augen zusahen. Einige fielen auf die Knie, um ihren teuflischen Gott anzubeten, andere eilten zu Sylora und stellten immer wieder die gleichen Fragen.
Aber sie gab keine Erklärungen, sondern verschwand einfach in der Höhle.
Nach einigen Augenblicken tauchte sie hoch oben im Turm wieder auf, wo sie sich auf ihrem Balkon zeigte, in der Öffnung des abgebrochenen Astes.
»Herrin?«, fragte der erste Ashmadai erneut.
Aus seiner Stimme sprach Ehrfurcht. All die ihr zugewandten Gesichter blickten sie staunend an.
Das gefiel Sylora.
»Seht, das ist Aschenburg!«, sagte sie zu ihnen. Der Name war ihr gerade erst eingefallen. »Stellt es fertig!«
Damit verschwand sie im Turm, und die Jünger sahen einander verwirrt an.
»Doppeltüren für den Eingang«, schlug einer vor.
»Und ein Vordach«, sagte ein anderer, und so machten sie sich ans Werk.
In dem baumartigen Turm, der über drei Stockwerke und eine Wendeltreppe verfügte, machte Sylora Salm es sich bequem und lauschte dem Lärm der Arbeiter. Zehn Jahre lang hatte die Zauberin im Wald, in den Höhlen oder in diesem oder jenem verlassenen Gehöft gehaust.
Jetzt begriff sie. Szass Tam hatte es ihr klargemacht. Seit sie vor über zehn Jahren in den Wald von Niewinter gekommen war, hatte sie diesen Zeitabschnitt als Übergangsperiode zu etwas anderem, etwas Größerem angesehen. Das war ihr Fehler gewesen. Jetzt zeigte ihr der Todesring, wie sehr sie sich geirrt hatte. Er zwang sie, diese Mission, diesen Ort und bald auch Niewinter als ihren persönlichen Herrschaftsbereich zu betrachten.
2
Weil er es erfahren musste
Drizzt und Dahlia folgten der Küstenstraße im Norden von Letzthafen. Andahars gleichmäßige Schritte trugen sie rasch in Richtung Luskan, denn sein Tempo und seine Ausdauer waren trotz der zwei Reiter doppelt so hoch wie bei einem normalen Pferd. Eine knappe Tagesreise vor ihrem Ziel überraschte Drizzt seine Begleiterin, indem er das Einhorn auf einen Pfad lenkte, der von der Straße weg nach Westen führte.
Dahlia bedachte ihn mit einem Klaps auf die Schulter. Als er sich umsah, bemerkte er ihren fragenden Blick.
»Ich möchte lieber ein anderes Tor nehmen«, erklärte der Drow.
»Ein anderes? Sie sind alle drei gleich«, protestierte die Elfe.
»Ich war erst kürzlich in der Stadt. Die Wachen …«
»Sind nie dieselben und könnten sowieso an jedem Tor Dienst tun«, sagte Dahlia. »Du warst etliche Zehntage nicht in Luskan, und wahrscheinlich liegen jetzt ganz andere Schiffe im Hafen. Da die meisten Wachen den Hochkapitänen dienen, haben sie längst vom Hafen aufs Schiff und vom Schiff in den Hafen gewechselt. Deshalb ist das Tor einerlei.«
Drizzts Antwort bestand darin, dass er sich leicht nach vorn beugte, damit Andahar noch schneller lief.
Dahlia wollte erneut aufbegehren, doch als sie nach vorn blickte und die Felder und Wiesen auf den Hügeln sah, besann sie sich eines Besseren. Nach dem Zwischenfall im Süden von Letzthafen und allem, was sie über Drizzt Do’Urden wusste, konnte sie sich denken, warum er unbedingt das Landesinnere in Augenschein nehmen wollte, bevor er die Stadt betrat.
Selbst aus der Ferne war zu erkennen, dass die meisten Felder von Unkraut überwuchert waren; stellenweise waren sogar Bäume gewachsen.
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