Niewinter 4: Die letzte Grenze
gefühlt. Dahlia war ferner gerückt, womöglich für immer, und ihm fehlte jene Begleitung, die seit dem Verlassen von Menzoberranzan stets an seiner Seite gewesen war.
Bei diesem verstörenden Gedanken schob der Dunkelelf eine Hand in seinen Beutel und zog die magische Figur heraus. Er hielt sie vor die Augen und starrte in das winzige Gesicht von Guenhwyvar – der treuen Guenhwyvar, die seinem Ruf nicht mehr Folge leistete.
Ohne lange nachzudenken, rief er der Katze leise zu: »Guenhwyvar, komm zu mir.«
Hilflos starrte er die kleine Statue an, weil er erneut den Schmerz des Verlusts empfand. Er war so in Gedanken, dass er den grauen Nebel übersah, der sich in seiner Nähe sammelte. Erst als Guenhwyvar fast vollständig Gestalt angenommen hatte, bemerkte er ihre Gegenwart!
Sie war es tatsächlich! Drizzt fiel auf die Knie, schlang die Arme um sie und rief immer wieder ihren Namen. Der Panther schmiegte seinen Kopf an ihn, um die Zärtlichkeit auf seine unnachahmliche Weise zu erwidern.
»Wo warst du bloß?«, fragte Drizzt. »Oh, Guen, ich habe dich so gebraucht! Ich brauche dich so sehr!«
Es dauerte eine Weile, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er nach Dahlia rufen konnte. War sie schon außer Hörweite?
Doch seine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet, denn als er sie rief, eilte Dahlia kampfbereit durch das Unterholz zu ihm zurück. Kurz bevor sie ihn erreichte, entspannte sie sich, als sie Drizzt mit seinem Panther vereint vorfand.
»Wie das?«, fragte sie.
Drizzt blickte auf und zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie gerufen, und sie ist gekommen. Die Magie, die sie daran hinderte, muss sich aufgelöst haben. Oder es war ein Riss im Gewebe zwischen den Ebenen, der sich wieder geschlossen hat.«
Dahlia bückte sich, um Guen über die kräftige Flanke zu streicheln. »Gut, dass sie wieder da ist.«
Drizzt lächelte ihr zu, und dieses Lächeln wurde noch wärmer, als er zusah, wie Dahlia der Katze über das weiche Fell strich. Ihr oft so gepeinigtes Gesicht wirkte gelöst, voller Zuneigung und Freundlichkeit. Das war die Dahlia, die Drizzt sich als Gefährtin wünschte. Dieser Dahlia konnte er Zuneigung, vielleicht sogar Liebe entgegenbringen.
Aus unerfindlichen Gründen dachte er an Catti-brie und schob das Bild von Dahlia über die Erinnerung an seine tote Frau.
»Demnach brauchen wir nicht mehr nach der Seherin zu suchen«, überlegte Dahlia.
»Scheint so«, stimmte Drizzt zu, der immer noch Guenhwyvar liebkoste.
»Na, dann schick das Kätzchen mal auf die Jagd«, schlug Dahlia vor. Ihre Stimme war kälter geworden. »Ich habe dieses Umherlaufen längst satt. Lass sie den suchen, der die Goblins getötet hat, damit wir die Sache hinter uns bringen können.«
Ihr Vorschlag klang vernünftig, aber in Drizzts Herz war er misstönend wie eine geborstene Glocke. Er wollte sich nicht gleich wieder von Guenhwyvar trennen. Außerdem war Dahlias Tonfall ihm zuwider. Sie hielt diese Jagd im Wald von Niewinter für unwichtig und nebensächlich. Ja, sie war kampfbereit – wie immer! –, aber das hatte rein selbstsüchtige Gründe: Sie brannte darauf, ihrer Wut freien Lauf zu lassen oder weitere Goblin-Ohren zu finden, die sie einlösen konnte. Es ging ihr um den persönlichen Gewinn.
Wie in der körperlichen Liebe, sann er. Er hatte schon gegrübelt, ob er Dahlia womöglich benutzte, aber war sie nicht ebenso unehrlich?
Sichere Wege, ein positiver Einfluss auf andere … solche Gefühle erzeugten in Dahlias vernarbtem Herzen keinen Widerhall. Zumindest keinen nachhaltigen und gewiss nicht so viel, dass Drizzt sie im selben Licht betrachten konnte wie einst seine geliebte Catti-brie.
Er warf einen Blick zum Himmel.
»Der Abend bricht an«, sagte er. »Wenn wir tatsächlich einen Vampir jagen, sollten wir ihm lieber bei Tageslicht begegnen.« Er sah zu Guen zurück und strich ihr über den Kopf. »Wir kommen morgen wieder.«
Dahlia sah ihn prüfend an und schien ihm widersprechen zu wollen. Dann aber ging ihr ein Licht auf: »Du willst die Katze nur nicht wegschicken, falls es das nächste Mal wieder schwierig wird, sie zu rufen.«
Drizzt nickte. »Kannst du mir wenigstens das zugestehen?«, bat er.
Seine Frage schien die Elfe tief zu treffen. Sie streckte ihm eine Hand entgegen, und als er zugriff, zog sie ihn auf die Füße und nahm ihn fest in die Arme. »Natürlich«, flüsterte sie ihm immer wieder zu.
In ihrer Stimme schwang hörbare Verzweiflung mit, und erneut
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