Niewinter 4: Die letzte Grenze
nahm allen Mut zusammen, ging zur Tür, drehte vorsichtig den Knauf und rief noch einmal, diesmal lauter: »Fürst Draygo!«
Beim Blick in den Raum erstarrte er, denn Draygo Quick saß vor ihm auf dem Boden! Seine spärlichen grauen Haare waren wild zerzaust, und er starrte Effron mit leerem Blick entgegen. Draygo Quick hatte sich stets gefasst und erhaben gezeigt, sauber gekämmt und ordentlich gekleidet, ganz gleich, ob er seine Roben trug oder ein schmuckes Wams und eine Hose.
Der alte Mann starrte Effron lange an. Schließlich schien er ihn zu registrieren.
»Ach, Effron, gut, dass du kommst«, sagte er und versuchte sich aufzurappeln.
Effron eilte zu ihm, um ihm aufzuhelfen.
Sein Meister strich das verbliebene Kopfhaar mit den Händen glatt und bleckte die gelben Zähne zu einem Lächeln.
»Was für ein Ritt, mein Junge!«, sagte er.
Effron verstand kein Wort. Er sah sich im Zimmer um. Die Stäbe des Käfigs leuchteten nicht mehr, und es schlich kein Panther darin herum.
»Ich war auf Toril«, erklärte Draygo Quick. »Über die Sinne des mächtigen Panthers.«
Effron starrte ihn verständnislos an.
»Ich bin an die Kreatur gebunden – durch den Segen eines leichtgläubigen Druiden«, fuhr der alte Hexer fort. »Deshalb kann ich über ihre Augen sehen, über ihre Ohren hören, über ihre Nüstern riechen und sogar fühlen, was sie fühlt. Das ist wirklich aufregend, sage ich dir!« Er lachte, riss sich aber rasch wieder zusammen. Sein Gesicht wurde ernst. »Ich habe noch nie auf diese Weise getötet. Der Geruch … das war … sehr persönlich.« Er sah zu Effron auf. »Und wunderschön.«
»Meister?«
Draygo Quick schüttelte den Kopf, wie um aus einer Trance zu erwachen. »Egal«, sagte er. »Jedenfalls vorläufig, auch wenn ich das ganz bestimmt wiederholen werde.«
»Ja, Meister«, sagte Effron. Sein Blick wanderte zu dem leeren Käfig zurück. »Und welche Rolle soll mir dabei zukommen?«
»Dir?«
»Mir wurde mitgeteilt, dass du mich augenblicklich zu sehen wünschst.«
Draygo Quick wirkte zunächst geschmeichelt – was Effron bei ihm noch nie erlebt hatte. Unwillkürlich blickte er zu dem leeren Käfig, denn er fragte sich, welch wundersame oder erschreckende Erfahrung Draygo Quick durchgemacht hatte.
»Ach ja, das«, sagte der Hexer, als er sich schließlich wieder im Griff hatte. »Du willst eine Gelegenheit, dich zu bewähren, und ich biete dir eine. Erst hatte ich etwas anderes vor, aber nun hat mich vor sehr kurzer Zeit«, er blickte zum Käfig und grinste, »eine andere Information erreicht. Was weißt du über diese Valindra Schattenmantel?«
»Der Lich?«, fragte Effron. »Ich habe sie von weitem beobachtet. Sie ist ziemlich verrückt und zweifellos gefährlich.«
»Geh und behalte sie im Auge. Aber diesmal für mich«, wies Draygo Quick ihn an. »Ich will wissen, was sie vorhat und was sie tut und ob sie für die Gegend um Niewinter eine ernsthafte Gefahr darstellt.«
»Meister?« Effron war wenig begeistert, was seine Stimme deutlich verriet.
»Geh, geh«, befahl Draygo und winkte mit seinen ledrigen Händen. »Sieh zu, was du herausfinden kannst, und erstatte mir ausführlich Bericht. Aber ich warne dich, mein ungestümer kleiner Schützling, halte dich von Dahlia und ihren Begleitern fern – besonders von ihren Begleitern. Dahlia ist dieses Mal nebensächlich.«
Effrons Gesicht erstarrte.
»Für dich vielleicht nicht«, sagte Draygo Quick, »aber deine Bedürfnisse und Wünsche sind in diesem Fall nicht vordringlich. Hier geht es um weit Wichtigeres, nämlich um Drizzt Do’Urden. Deshalb warne ich dich: Halte dich von ihnen fern. Ich dulde in dieser Frage keinen Widerspruch und keinen Ungehorsam.«
Effron schlug lange nicht die Augen nieder.
»Tue es. Wenn die Zeit reif ist, werde ich dir zu deiner Rache verhelfen«, versprach sein Meister.
Das musste Effron genügen, denn letztlich hatte er ohnehin keine Wahl. Zumindest sich selbst gestand er ein, dass er ohne Hilfe kaum etwas gegen Dahlia, Drizzt Do’Urden und Barrabas den Grauen ausrichten konnte. Jeder der drei war ein gefährlicher Gegner.
»Valindra Schattenmantel«, sagte er leise. »Natürlich.«
Effron hatte den Raum noch gar nicht ganz verlassen, als Draygo Quick sich auch schon wieder auf den Boden setzte, die Augen schloss und tief durchatmete, um sich zu beruhigen. Er bereitete sich auf die Rückkehr zu den Sinnen des Panthers vor. Nachdem er wieder ganz bei sich war und sich stark genug
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