Niewinter 4: Die letzte Grenze
erkannte, dass er keinen Dummkopf vor sich hatte.
»Interessant«, fügte Jarlaxle mit gespieltem Erstaunen hinzu. »Drizzt Do’Urden, der Abtrünnige, ist also noch am Leben?«
»Und Teil von Bregan D’aerthe«, sagte Tiago trocken.
»Geschickt gelogen.«
»Das sagt Ihr – was sonst? Der Mensch, der bei dem Drow war, hat Euch einst nach Menzoberranzan begleitet«, hielt ihm Tiago vor.
»Lange vor Eurer Geburt. Wenn es wirklich derselbe Mensch ist.«
»Berellip Xorlarrin hat es bezeugt. Wollt Ihr an einer Priesterin der Spinnenkönigin zweifeln?«
Auch dies brachte Jarlaxle zum Lachen. Wann in seinem Leben hatte er diesen Priesterinnen je geglaubt?
»Dann wäre er ein sehr, sehr alter Mensch«, sagte Jarlaxle. »Und ich versichere Euch, dass ich den Mann, von dem Ihr sprecht, seit mindestens fünfzig Jahren nicht mehr gesehen habe. Er gehört auch nicht zu Bregan D’aerthe. Ebenso wenig wie Drizzt Do’Urden – falls Ihr den Verdacht hegt, dass er der Drow war –, weder jetzt noch früher. Wenn Ihr irgendetwas über das Herz von Drizzt Do’Urden wüsstet, würdet Ihr auch verstehen, dass dies niemals sein Wunsch wäre.«
Tiagos Blick war äußerst misstrauisch. »Das werde ich Drizzt Do’Urden selbst fragen«, bemerkte er. »Bevor ich ihn töte.«
Diese Worte waren sein Ernst, wie Jarlaxle erkannte. Der junge Krieger war ein Angeber und voller Selbstvertrauen, dazu sehr gut ausgerüstet, selbst für einen reichen Baenre. Jarlaxle prägte sich ein, den wachsenden Ruf von Tiago Baenre näher zu untersuchen – und den von Ravel Xorlarrin, fügte er im Stillen hinzu, als er den Zauberspinner näher kommen sah.
Von seinen letzten Besuchen in Menzoberranzan wusste Jarlaxle, dass diese beiden zu den prominentesten Vertretern der neuen Generation der Stadt zählten. Gromph hatte eine hohe Meinung von Tiago und hatte angedeutet, dass dieser wahrscheinlich bald Andzrel als Waffenmeister des Ersten Hauses ablösen würde. Durch seine Augenklappe hatte Jarlaxle eine ganze Menge Magie an Tiago entdeckt, und der strahlende Glanz dieses Schilds und des Schwerts bestätigte Gromphs Verdacht. Andzrel würde tatsächlich wenig erbaut sein, wenn er herausfand, dass Tiago derart zauberkräftige Waffen führte, und Oberin Quenthel hätte Gol’fanin nie gestattet, Schwert und Schild in dieser Form für Tiago herzustellen, wenn sie diesen in der Hierarchie des Hauses hinter Andzrel halten wollte.
Falls Tiago jedoch Drizzt nachsetzen wollte, wie er behauptet hatte, dann stand Andzrel trotz Tiagos Ausstattung wahrscheinlich noch ein langes, ruhiges Leben als Waffenmeister bevor, dem kein lebender Erbe den Rang streitig machen würde.
Diese Vorstellung rang Jarlaxle ein Lächeln ab, aber nur ein kleines, denn der junge Krieger hatte tatsächlich etwas Beunruhigendes an sich – genau wie seine Verbündeten, dachte Jarlaxle, als sich der ebenso selbstsichere und ehrgeizige Ravel zu ihnen gesellte.
Als Anführer von Bregan D’aerthe hatte man Jarlaxle in ganz Menzoberranzan über Jahrhunderte respektiert und gefürchtet. Die Mimik und die Worte drückten keinen derartigen Respekt mehr aus. Wurde er allmählich alt und unwichtig?
Sahen diese zwei ihren Aufstieg kommen? War das ihr Moment?
Würde Drizzt auch gegen den Nachkommen von Dantrag schnell genug sein?
»Willst du mich nicht langsam mal einweihen?«, fragte Athrogate, nachdem er und Jarlaxle Gauntlgrym wieder verlassen hatten. Die beiden ritten auf ihren magischen Tieren, Jarlaxle auf dem Höllenross und Athrogate auf seinem Eber.
»Ich habe absolut keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Seit du von den Drow zurück bist, bläst du Trübsal.«
»Das ist eben kein angenehmes Völkchen.«
»Da ist aber noch etwas«, sagte Athrogate. »Du hast mir nicht mal von den Schmiedeöfen erzählt!«
Jarlaxle verlangsamte sein Reittempo und betrachtete seinen Begleiter. »Das ist ein wahrlich wundersamer Ort, und schon jetzt schmieden sie dort ganz besondere Waffen.«
»Für verfluchte Drow-Elfen!«, knurrte Athrogate. Er spuckte auf den Boden. Jarlaxle sah ihn verblüfft an. »Nicht du. Die anderen.«
»Allerdings.«
»Es ist Entreri, stimmt’s?«
»Kann sein. Der Beschreibung nach schon.«
»Nein, ich meine, wegen Entreri bist du so trübsinnig. Jahrelang hast du keinen Gedanken an ihn verschwendet, aber jetzt sieht man’s dir wieder an.«
»Ich habe getan, was ich tun musste, um seinetwillen und auch um unseretwillen.«
»Das sagst du dir schon seit
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