Niewinter 4: Die letzte Grenze
kennen zu lernen und die Verhandlungen einzuleiten.«
»Was ist mit Luskan?«
»Um Luskan werde ich mich kümmern.«
»Ihr solltet mit den Baenres sprechen.«
»Das habe ich bereits.«
Sie werden ihren kostbaren jungen Waffenmeister verlieren, zeigten Jarlaxles Finger an.
Darum kümmere ich mich, lautete Kimmuriels ausweichende Antwort.
Jarlaxle verbarg geschickt seine Enttäuschung über diesen Drow, der allen immer einen Schritt voraus zu sein schien – bis ihm aufging, dass er die psychische Abschirmung durch die Augenklappe nicht aktiviert hatte und Kimmuriel wahrscheinlich ungehindert seine Gedanken lesen konnte.
»Also dann ins Schattenreich«, sagte Jarlaxle.
Kimmuriel trat in den Schatten und war verschwunden.
»Wo ist das?«, fragte Athrogate. »Mein Arsch ist jetzt schon wund.«
»Oh, das wird noch schlimmer«, versprach Jarlaxle, der in die verblassenden Schatten starrte. »Tausend Meilen nach Osten.«
»Tief im Reich also.«
»Im Herzen von Nesseril«, erklärte Jarlaxle.
Sie riefen ihre Reittiere, den Nachtmahr und den Hölleneber, und ritten los.
Wie üblich schlugen sie ein gleichmäßiges Tempo an, bei dem sie eher trabten als galoppierten, obwohl keines ihrer magischen Tiere ermüden würde.
»Glaubst du, er war es wirklich?«, fragte der Zwerg, als die Sonne hinter ihnen zu sinken begann.
»Wer?«
»Ach, lass doch die Spielchen«, erwiderte der Zwerg. »Dafür kenne ich dich zu gut.«
»Dann sollte ich dich endlich umbringen.«
»Auch zu gut für diesen Witz, der eben doch nur ein Witz ist«, sagte der Zwerg. »Du glaubst also, es war wirklich Artemis Entreri?«
»Ich weiß es nicht«, räumte Jarlaxle ein. »Er müsste längst tot sein, aber schon damals hatte ich den Eindruck, dass er nicht altert wie ein normaler Mensch. Im Kampf hatte er jedenfalls nicht seinen Biss verloren.«
»Schattensubstanz?«, fragte Athrogate. »Glaubst du, sein Dolch hat ihm ein längeres Leben eingeimpft, als er einen Schatten erstochen hat?«
»Das war die Überlegung«, antwortete Jarlaxle. »War«, betonte er.
Athrogate sah ihn fragend an. »Und was glaubst du jetzt?«
Jarlaxle zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war es der Dolch, aber dann durch all die geraubten Leben, nicht unbedingt durch das eines Schatten. Vielleicht verlängert es das eigene Leben, wenn man einem Feind – egal was für einem – das Leben aussaugt.«
Athrogate, der im Rahmen einer alten Bestrafung zu einem besonders langen Leben verflucht worden war, schnaubte bei dieser grässlichen Vorstellung.
»Wahrscheinlicher aber ist, dass Artemis Entreri schon lange tot ist. Und längst zu Staub zerfallen …«
»Dieser Tiago sagte etwas anderes.«
»Tiago Baenre ist nicht alt genug, um sich an Entreris Besuch in Menzoberranzan zu erinnern.«
»Aber seine Schwester, sagtest du …«
»Möglich«, unterbrach ihn Jarlaxle, und allein dieser Einwurf zeigte beiden, wie sehr diese beunruhigende Möglichkeit den Drow-Söldner beschäftigte.
Jarlaxle seufzte frustriert und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Egal«, sagte er wenig überzeugend. »Wahrscheinlicher ist, dass Drizzt und Dahlia einen Begleiter gefunden haben, wen auch immer, und dass Drizzt ihm diese Geschichte aufgetischt hat, um sie alle zu retten, als sie von den Xorlarrins aufgegriffen wurden.«
»Das sieht Drizzt aber nicht gerade ähnlich«, widersprach Athrogate prompt.
Seine Antwort überraschte Jarlaxle, bis er das Lächeln auf Athrogates Gesicht bemerkte. Der Zwerg bohrte nach, um ihn aus der Reserve zu locken.
»Drizzt legt sich nicht im Voraus ein Lügennetz zurecht«, fuhr der Zwerg fort. »So was machst du. Er nicht.«
»Darum geht es mir bestens, während er nur überlebt«, erwiderte Jarlaxle. »Ich bin sicher, dass er und Dahlia bald einen passenden Ort finden. Das gelingt ihm immer.«
»Oh, nein, das stimmt nicht«, sagte Athrogate.
»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ich spreche von Entreri, und das weißt du genau. Immerhin verfolgt dich sein Geist schon ein halbes Jahrhundert.«
Jarlaxle verzog das Gesicht. »Ich habe engere Freunde begraben und viele Geliebte.«
»Ja, aber wie viele musstest du wegen deiner eigenen Taten begraben?«, fragte Athrogate.
Jetzt hatte er es offen ausgesprochen. Jarlaxle wäre am liebsten auf den Zwerg losgegangen, hielt sich jedoch im Zaum. Athrogate hatte durchaus recht. Vor vielen Jahren hatte Jarlaxle den Meuchelmörder an die Nesserer verraten. Damals hatte das Reich mit aller
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