Niewinter 4: Die letzte Grenze
Berührung schon gar nicht mehr gewohnt«, sagte Dahlia schließlich.
»Es war viel los«, erwiderte Drizzt. »Ereignisse von großer Tragweite.«
Dahlia rümpfte die Nase, denn sie durchschaute seinen Ausweichversuch. »Solche Siege enden normalerweise sehr lustvoll«, bemerkte sie.
Darauf wusste Drizzt keine Antwort, zumindest keine, die er offen aussprechen wollte. Er zog sie einfach fester an sich.
»In Baldurs Tor wird Entreri uns verlassen.«
Es überraschte Drizzt, dass sie ausgerechnet jetzt das Thema wechselte. Er sah sie forschend an, konnte ihre Miene aber nicht ergründen.
»Damit droht er schon seit Niewinter«, bemerkte er.
»Jetzt hat er seinen Dolch.«
»Der Dolch war eine Ausrede und nie der Grund dafür, dass er geblieben ist.«
»Was meinst du damit?« Dahlia löste sich aus Drizzts Arm und sah ihn an.
»Artemis Entreri ist wieder frei, aber er fürchtet die Ketten der Erinnerung«, erklärte Drizzt. »Er will nicht wieder der werden, der er einmal war, und diesem Schicksal kann er offenbar nur entgehen, wenn er bei uns bleibt, besser gesagt, bei mir. Er braucht bloß die eine oder andere Ausrede, um seine Entscheidungen zu rechtfertigen, damit ich mir nichts darauf einbilde. Aber er verlässt uns nicht.«
»In Baldurs Tor«, beharrte Dahlia.
»Oder in Luskan oder zuvor in Letzthafen.«
»Du klingst so überzeugt.«
»Das bin ich«, versicherte Drizzt.
»In Bezug auf alle deine Begleiter? Dann bist du verrückt«, sagte sie und verschwand mit einem boshaften Lächeln, das Drizzt nicht wirklich verstand.
Der Drow wandte sich wieder dem Meer zu. Anstatt sich erneut den Erinnerungen an die Zeit mit Catti-brie und Kapitän Deudermont zu überlassen, dachte er an die Ereignisse in den vergangenen Monaten. Dahlias Bemerkungen entsprachen der Wahrheit: Er rührte sie kaum noch an und besprach nur noch Alltägliches mit ihr. Sie entfernten sich voneinander, und das lag allein an Drizzt. Vielleicht war es keine bewusste Entwicklung, aber sie war unausweichlich.
Dieser Gedanke alarmierte den Drow, und einen Augenblick gab er Entreri die Schuld, dessen Verständnis für das, was Dahlia durchgemacht hatte, und die tiefen Narben, die diese Ereignisse hinterlassen hatten, Drizzt verdrängt hatte.
Aber dieser Gedanke hatte keinen Bestand, und so lachte Drizzt gleich darauf über sich selbst. Entreri – oder zumindest sein Mitgefühl – stand tatsächlich zwischen ihnen, aber nur weil Drizzt dadurch erkannt hatte, wie dünn seine Beziehung zu dieser Elfenkriegerin war, die er kaum wirklich kannte.
Er wusste nicht, wo das hinführen sollte. Obwohl er versuchte, seine Gedanken logisch zu Ende zu bringen, fand er sich im Geiste bald erneut auf der Seekobold wieder, an seiner Seite Catti-brie, auf dem Deck zusammengerollt Guenhwyvar, den Wind im Gesicht und rundum von Abenteuerlust erfüllt.
Instinktiv glitt seine Hand zu dem Beutel an seinem Gürtel, und er konnte dem Ruf seines Herzens nicht widerstehen. Bald stand Guenhwyvar neben ihm, die sich hager, aber dennoch zufrieden, wieder bei ihm zu sein, an ihn lehnte.
Ihre Gegenwart katapultierte Drizzt noch mehr in die Zeit auf der Seekobold zurück, und er war glücklich.
Man hatte Artemis Entreri eine schmale Hängematte im Steuerbord-Laderaum der Elritze zugeteilt, in die er jedoch nicht zurückkehrte, nachdem er Drizzt und die anderen am Bug verlassen hatte.
Irgendetwas an der ganzen Geschichte irritierte ihn. Entreri kannte sich in Luskan nicht mehr so gut aus, konnte sich jedoch kaum vorstellen, dass es seit den früheren Tagen der Herrschaft der fünf Hochkapitäne massive Veränderungen gegeben hatte. Dieses Schiff segelte unter der Flagge von Schiff Kurth, das nach wie vor eine führende Stellung in der Stadt innehatte. Dafür sprach die Stärke, die Kurths Hauptquartier auf der Schanzeninsel ausstrahlte, aber auch die Tatsache, dass Beniago mit Drizzt einen derartigen Handel über Letzthafen hatte abschließen können.
Warum also benötigte die Elritze derart erfahrene, zusätzliche Wachen?
Vielleicht war das alles ein Machtspielchen von Beniago und Schiff Kurth, die Drizzt und Dahlia auf die Probe stellen wollten, indem sie ihnen eine derart simple Aufgabe zuwiesen. Vielleicht steckte aber auch etwas anderes dahinter, dachte Entreri. Weit mehr und weit Schlimmeres.
Lauerte in diesem dunklen Wasser eine schreckliche Gefahr? Die Sahuagin womöglich? Hatten die Seeteufel ihre Angriffe auf Letzthafen abgebrochen, um stattdessen
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