Niewinter 4: Die letzte Grenze
wirklich. Artemis Entreri hatte schon immer versucht, bei Drizzt Zweifel zu säen. Es schien ihm eine gewisse Befriedigung zu verschaffen.
Drizzt wandte sich wieder dem Meer zu, blickte ein letztes Mal zum Mast der Seekobold zurück und schaute dann nach vorn, in die Weite. Er schloss die Augen, atmete tief durch, sog die Salzluft ein und ließ sich davon in bessere Tage zurücktragen und auch – bei diesem Gedanken versuchte er vergeblich, Dahlia zu verdrängen – zu besserer Gesellschaft.
»Wer ist an Bord?«, wollte Effron von dem Hafenarbeiter wissen. Der Tiefling war gerade rechtzeitig eingetroffen, um zu sehen, wie die Elritze an der Schanzeninsel vorbeisegelte. Er hatte Gerüchte gehört, dass die Besatzung sich kurzfristig noch vergrößert hatte, und hier im Hafen wurde ihm nun klar, dass er sein Opfer um Haaresbreite verpasst hatte.
Deshalb hatte er einem der Männer aufgelauert, die bei der Elritze die Leinen gelöst hatten.
»Ich kenne dich nicht, Meister!«, antwortete der Arbeiter erschrocken.
»Sprich, oder ich setze dir Spinnen unter die Haut!«
»Meister!«
Effron schüttelte den armen Narren mit seinem gesunden Arm kräftig durch. Seine Augen, das rote und das blaue, blitzten vor Wut.
»K-Kurths Schiff«, stammelte der Mann. »Unter der Flagge von Schiff Kurth.«
»Und wer genau ist an Bord?«
»Dreiundzwanzig Seeleute«, antwortete der Arbeiter.
»Was ist mit den Wachen? Den Drow?«
»Nur einer«, sagte der Mann. »Drizzt. Und eine Zwergin, zwei Männer und noch eine Frau, eine Elfe.«
»Ihr Name!«
»Dahlia«, erwiderte der Mann. »Dahlia, die Hochkapitän Rethnor getötet hat. Schiff Rethnor ist äußerst empört, dass sie unter Kurths Schutz durch Luskan kommen konnte.«
Er stammelte weiter etwas über die politischen Hintergründe, aber Effron hörte ihm kaum zu. Er starrte den kleiner werdenden Segeln nach, die seine verhasste Mutter weit, weit von ihm entfernten.
»Wohin fahren sie?«, fragte er ruhiger. Fürs Erste schob er seinen Zorn beiseite.
»Baldurs Tor.«
»Und wo liegt das?«
»Weiter unten«, sagte der Mann. Diese überaus vage Antwort brachte ihm einen wütenden Blick von Effron ein.
»Hinter Tiefwasser. Ein paar hundert Meilen die Küste runter.«
Effron ließ ihn los, und der Mann fiel zu Boden, wo er mit abwehrend erhobenen Armen liegen blieb.
Der Hexer achtete nicht weiter auf ihn, sondern bemühte sich, seinen Ärger im Zaum zu halten. Effron erinnerte sich daran, dass er Dahlia gegenwärtig sowieso nicht angreifen konnte, ohne mit Draygo Quick aneinanderzugeraten. Ihm standen schnelle Reisemöglichkeiten offen, und so weit war es nicht bis Baldurs Tor.
Also verließ er Luskan und versuchte, nicht daran zu denken, dass die Elritze schließlich auch mit Mann und Maus untergehen könnte. Auf diese Weise durfte er Dahlia nicht verlieren. Die Schwertküste war als gefährlich verschrien, aber wer unter der Flagge von Schiff Kurth reiste, würde vor den meisten Piraten sicher sein.
Als Effron zurück im Schattenreich war, schüttelte er derartige Befürchtungen leichter wieder ab. Nicht nur die Flagge von Schiff Kurth würde ihm helfen, sondern auch dass Drizzt, Dahlia und Artemis Entreri an Bord waren, war ein ziemlich guter Hinweis darauf, dass die Elritze ihr Ziel sicher erreichen würde.
Dahlia blieb bei Drizzt, nachdem Afafrenfere und Ambergris längst auf der Suche nach Rum und Tanz unter Deck verschwunden waren. Der Drow stand lange am Bug und beobachtete, wie das dunkle Wasser sich teilte. Er blickte nicht mehr zurück, denn Luskan war schon lange nicht mehr zu sehen, und das Meer sah vor und hinter ihnen gleich aus.
Nach einer Weile schob Dahlia sich neben ihn, und Drizzt legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie an sich. Dabei kam er sich geradezu heuchlerisch vor, denn er merkte, dass er das nur tat, weil er seit der letzten Stunde so beunruhigende Gefühle hegte. Wenn er keine rein freundschaftliche Beziehung zu der Elfe pflegen wollte, durfte er Dahlia nicht länger mit seiner geliebten Frau vergleichen.
Die Elritze war nicht die Seekobold, und Dahlia war nicht Catti-brie, und diese Parallelität erschien Drizzt passend. Jetzt aber zog er Dahlia an sich, mehr um seinetwillen als um ihretwillen.
Weil er Angst hatte.
Er hatte Angst, mit ihr weiterzuziehen, weil er sich inzwischen eingestand, was er wirklich fühlte. Er hatte aber auch Angst, ihre Beziehung zu beenden, weil er seinen Weg nicht allein gehen wollte.
»Ich bin deine
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