Nigger Heaven - Roman
anderen hilft.«
»Warum denn nicht?«, rief Olive.
»Weil die Weißen, die sie treffen, sie als Genies betrachten, als Ausnahmen. Ja, werden sie sagen, das sind in der Tat ungewöhnlich brillante und charmante Menschen, schade nur, dass nicht alle Farbigen so sind. Um die schwierige Situation unseres respektablen Mittelstandes werden sie sich nicht kümmern.«
»Aber ich dachte, du hättest eine Lösung«, sagte Mary.
»Die habe ich auch. Sie ist ganz einfach zu formulieren, aber nicht so leicht durchzuführen. Sie ist ökonomischer Natur. Sobald wir reich sind, werden wir Macht haben. Man kann die Rassenschranken nicht aufrechterhalten, wenn es um Geld geht, egal, wie stark deine Vorurteile sind. Sobald wir Farbigen reich genug sind, werden wir gehen können, wohin wir wollen, und das tun, was wir tun wollen. Die Weißen können sich weiterhin über uns lustig machen, aber sie werden uns empfangen. Seht euch die Juden an. Eine Menge weißer Nichtjuden verachten sie, aber sie können sie nicht ignorieren. Sie sind finanziell viel zu wichtig.«
»Aber das ist doch nur Booker T. Washingtons alte These«, unterbrach ihn Dick. »Er hat das alles schon gesagt, wenn auch nicht so vereinfacht, und was ist geschehen? Sobald einer von uns zu etwas Geld kommt, gerät die weiße Welt, von unserer eigenen ganz zu schweigen, außer sich vor Neid.«
»Booker T. hat das tatsächlich ähnlich formuliert«, gab Howard zu, »aber wir müssen anders vorgehen, als er annahm. Er riet den Schwarzen, Land zu kaufen und zu bearbeiten. Es ist aber besser, Grundbesitz zu erwerben und dann zu verkaufen. Es stimmt ja auch, dass im Süden die armen Weißen neidisch auf uns sind, wenn wir vorwärtskommen, und in Harlem sind es unsere eigenen Leute. Ich sagte ja bereits, dass es schwer werden wird. Wir alle haben ernsthafte Hindernisse zu überwinden. Und dennoch …«
»Genug davon, Howard«, rief Olive und gähnte. »Für heute reicht es. Wir wollen statt deines Sermons lieber Clara Smith hören.« Sie setzte das Grammophon in Bewegung und legte eine Platte auf. Bald erfüllte die einzigartige Stimme der Bluessängerin den kleinen Raum.
Ah wants to hop a train an´
Go where duh town is clean.
Wants to hop a train, Lawd!
Go where duh town is clean,
Folks roun´ heah is so low-down an´ mean.
[Ich möchte gern auf einen Zug, / In eine Stadt, die sauber ist. / Möchte gern auf einen Zug, oh, Allmächtiger! / In eine Stadt, die sauber ist. / Die Menschen hier sind so niedrig und gemein.]
Tränen strömten über Marys Wangen. Die anderen schwiegen ernst und bedrückt.
»Zum Teufel, Ollie, mein Schatz«, beklagte sich Dick. »Damit hast du unsere Stimmung nicht gerade verbessert! Versuch es doch mal mit etwas Heitererem.«
Kapitel 3 Vier oder fünf Wochen waren fast unmerklich vergangen, als Mary eines Tages, als sie in einer nachdenklichen Stimmung war, verblüfft auffiel, dass sie ihrer Mutter gegenüber, der sie fast jede Woche schrieb, den Heiratsantrag von Pettijohn nicht erwähnt hatte. Solche Anträge waren selten und interessant genug, um in ihren Berichten zumindest erwähnt zu werden, und dies umso mehr, weil sie bislang ihrer Mutter immer praktisch alles anvertraut hatte. Aus Gründen der Selbstdisziplin und weil sie möglicherweise Klarheit über ihre eigenen Gefühle gewinnen wollte, setzte sich Mary an ihren Schreibtisch und versuchte einen wahrheitsgetreuen Bericht über das, was sich ereignet hatte und was sie davon hielt, aufzusetzen. Als sie die letzte Zeile geschrieben hatte, war ihr klar, warum sie diesen Vorfall unerwähnt gelassen hatte: Sie schämte sich, einem solchen Mann zu gefallen. Unausgesprochen war ihr auch noch etwas anderes klar: Byron Kasson hatte ihre Sympathie gewonnen und auf eine ganz außergewöhnliche Art ihre Phantasie erweckt. Olive hatte zu Mary oft gesagt, dass sie unterkühlt sei. Alle sagen, dass du emotionslos bist und über keine natürlichen Empfindungen zu verfügen scheinst, hatte Olive sich beklagt. Warum lässt du dich nicht ab und zu etwas gehen? Die Wahrheit war, wie Mary sich selbst eingestand, dass sie tatsächlich keinen spontanen Gefühlsregungen folgte. Sie empfand einen instinktiven Abscheu vor Promiskuität und wollte nicht mit einem Mann intim sein oder sogar berührt werden, der ihr nicht sehr nahe stand. Vielleicht war das, dachte sie manchmal, den weißen Elementen ihrer Persönlichkeit geschuldet, aber Olive, die viel weißer war, war überhaupt nicht prüde. Was auch
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