Nigger Heaven - Roman
Verrat gelitten, aber auch wir, Leute wie du und ich, verhalten sich so. Wir sind nicht anders, aber dennoch verhalten wir uns ähnlich, wenn es darum geht, den Weißen einen Quatsch vorzumachen. Wenn mir mein Chef eine Frage stellt, deren korrekte Beantwortung für meine Rasse eine Beleidigung wäre, lüge ich ihn einfach ganz frech an, obwohl er eigentlich ein aufrichtiges Interesse hat. Ich kann einfach nicht anders. Wir sind eben so«, lächelte Olive vergnügt.
»Was amüsiert dich denn so, Ollie?«
»Ich denke da an eine lustige Geschichte, die mir mein Boss von seinem farbigen Diener erzählte. Sam kam eines Tages mehrere Stunden zu spät und entschuldigte die Verspätung damit, es hätte ein Feuer gegeben. Der Boss war besorgt. ›Haben Sie viel verloren?‹, fragte er ihn. ›Alles, was ich hatte‹, meinte Sam, ›das Haus brannte in Grund und Boden nieder.‹ Ein oder zwei Tage später erkundigte sich der Boss nach Sams neuer Adresse, und Sam sagte: ›Ach, ich habe immer noch die alte Adresse.‹«
Mary lachte, während sie Butter auf einen Muffin strich. »Was hat Sergia dir sonst noch erzählt?«
Olive öffnete erstaunt die Augen. »Na, es freut mich, dass du dich für Klatsch interessierst. Demnächst wirst du dich für weiße Oxfordhosen interessieren!«
»Du sollst mich nicht necken, Ollie!«
»Ich necke dich gar nicht, aber ich wünschte, du wärst da etwas ansteckungsempfänglicher. Du musst wohl gegen die Liebe immun sein. Ich glaube«, sagte sie dann etwas verlegen, »ich werde Howard heiraten.« Sie sprach es so aus, als ob sie gerade in diesem Augenblick auf diesen Gedanken gekommen wäre.
»Ollie, meine Liebe, ich bin so froh!« Mary stand auf, um ihre Freundin zu umarmen. »Wann hat sich das denn entschieden?«
»Gestern habe ich ihm gesagt, dass ich es vermutlich tun würde, und heute, dass ich es tun werde. Und zwar sehr bald. Ich will es nicht aufschieben, bis er gut verdient. Wozu warten?«
»Du wirst mir fehlen, Ollie.«
»Du mir auch, mein Schatz.« Olive stürzte impulsiv auf Mary zu. »Aber wir werden uns trotzdem oft sehen.«
Mary ging in die Küche, um die blauen chinesischen Desserteller und einen aromatisch duftenden Pudding hereinzubringen.
»Sergia sagt, dass Lasca Sartoris aus Paris zurück ist«, bemerkte Olive.
»Lasca, die Legendäre! Wo wird sie wohnen?«
»Ein paar Wochen bei Sylvia, bis sie ein Apartment gefunden hat. Sergia sagte, dass sie ein Arsenal von Reisekoffern mitgebracht hat: Kleider von Poiret und Vionnet, Hüte von Reboux und Fächer und Schuhe und Shawls und Parfüms, genug, um eine Follies-Revue auszustatten.«
Nachdem sie mit Olive den Tisch abgeräumt und das Geschirr abgewaschen hatte, zog sich Mary in ihr Zimmer zurück, um sich anzukleiden. Olive erwartete Howard, und Mary hatte eine Einladung von Hester Albright angenommen, empfand aber keine richtige Freude deswegen. Hester, eine unverheiratete Frau von achtunddreißig Jahren, lebte mit ihrer Mutter, einer tauben, zänkischen und ermüdenden alte Dame, im dritten Stock eines Wohnhauses in der St. Nicholas Avenue. Sie waren vor etwa fünf Jahren von Washington nach New York gezogen. Niemand verstand genau den Grund dafür, da die Gesellschaft von Washington, Hester zufolge, der Harlemer Society weitaus überlegen war. Es war ihre Gewohnheit, für Harlem wenig schmeichelhafte Worte zu finden, was ihr Aufenthalt hier umso rätselhafter machte, da die Albrights offensichtlich wohlhabend genug waren, um an jedem beliebigen Ort ihrer Wahl zu wohnen. Tatsächlich war Harlem sogar teurer als die Hauptstadt. »Ich glaube«, hatte Olive einmal gesagt, »es amüsiert sie, hier zu leben, weil sie uns so Minderwertigkeitsgefühle einimpfen können.« Wenn Hester und ihre Mutter so gar nichts von Harlem hielten, so war ihnen das bei Brooklyn nicht möglich; die feine Brooklyner Gesellschaft ignorierte sie nämlich vollkommen.
Hester war reizlos, viel zu reizlos, um Männer anzuziehen, aber eitel genug, um sich für unwiderstehlich zu halten. Sie war durch und durch bigott und leicht zu schockieren. Hinzu kam, dass sie nicht nur die Taten von anderen, sondern auch deren Gedanken vorschnell und scharf kritisierte. Sie pflegte aber ihre eigenen eigenwilligen Vorurteile über Anstand, Kunst, Kleidung und Benehmen im Allgemeinen. Besonders aggressiv und feindlich war ihre Haltung gegenüber der neuen literarischen Gruppe, die sich in Harlem bildete, obgleich die meisten Intellektuellen der älteren
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