Nigger Heaven - Roman
Generation diese unterstützten und in der Bewegung eines der hoffnungsvollsten Anzeichen für kommende Emanzipation und geistige Überlegenheit sahen. Dieser Antagonismus beruhte darauf, wie Mary vermutete, dass diese jungen Autoren es vorzogen, über den Schmutz und die Laster Harlems zu schreiben, anstatt über die wohlanständige Eleganz der feinen Gesellschaft in Washington. Ungefähr zweimal im Jahr lud Hester Mary in ihr Haus ein, zweifellos, wie Mary sich ausmalte, aus einem vagen Wohltätigkeitsgefühl heraus. Sie hörte Hester förmlich sagen: »Ich muss nett zu diesem armen Mädchen sein!«; und da Mary es als ihre Aufgabe als Bibliotheksangestellte ansah, mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzukommen, nahm sie diese Einladungen pflichtgetreu an.
Heute Abend jedoch, sagte sie sich mit Bedauern, während sie ihr Spiegelbild betrachtete und ihr hellblaues Seidenkleid glattstrich, war sie so gar nicht in Stimmung für dieses Abenteuer. Olives Mitteilung, die ihrer eigenen Entdeckung am Nachmittag so schnell gefolgt war, hatte sie etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie wäre lieber mit Olive und Howard zu Hause geblieben, um sich dann später auf ihr Zimmer zurückzuziehen, um nachzudenken und zu versuchen, ihre verwirrenden Gedanken wieder zu sortieren. Sie erinnerte sich aber daran, dass sie zugesagt hatte, und sie folgte der strengen Regel, eingegangene Verpflichtungen einzuhalten. Dennoch seufzte sie, während sie das Fenster öffnete. Es regnete nicht mehr, also konnte sie den kurzen Weg zum Apartment der Albrights zu Fuß gehen.
Kurz nach neun Uhr öffnete Hester ihr selbst die Tür – die Albrights hatten keine Hausangestellten.
»Legen Sie ab, Mary«, bat Hester und führte sie dann in das winzige Wohnzimmer, in dem Mrs Albright, eine verschrumpelte, faltenreiche alte Dame mit Hakennase, ihr Hörrohrszepter von einem Lehnstuhlthron aus schwenkte. Auf der anderen Seite des Zimmers, wo ein fröhliches Feuer prasselte, saß Orville Snodes, der irgendeine Stellung beim Harlemer Y.M.C.A. innehatte. Mary konnte ihn überhaupt nicht leiden, vielleicht aus dem einfachen Grund, weil er sie langweilte. Allein schon der Anblick seines braunen, leeren Gesichts, einem äthiopischen Mond nicht unähnlich, enervierte sie.
»Wie geht es Ihnen, Mrs Albright?«
»Und wie geht es denn Ihnen so?«, krächzte die Greisin.
Danach fiel Marys schlaff-entspannte Hand in die von Orville Snodes.
Mrs Albright war die Witwe eines Bauunternehmers, und es war allgemein bekannt – obgleich man diesbezüglich nie ein Wort von ihr selbst gehört hatte –, dass sie, ihrer Ansicht nach, »nach unten« geheiratet hatte, obwohl sie ihren gegenwärtigen Wohlstand dieser seltsamen Bescheidenheit zu verdanken hatte. Aber ganz egal, wie ihre Haltung bezüglich dieser Episode wirklich sein mochte, sie hatte zumindest der Konvention ein Zugeständnis gemacht, indem sie die Fotografie ihres verstorbenen Gatten deutlich sichtbar auf dem Kaminsims duldete. Als Mary das Bild wie schon so oft zuvor betrachtete, um die Motive für die Ehe dieses seltsamen Paares zu ergründen, fand sie, dass er ein ansprechendes Gesicht hatte. Der riesige weiße Schnurrbart in diesem ehrlichen Gesicht verlieh ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Walross, und eine tiefe, fast weiße Narbe, die vom linken Mundwinkel bis zum linken Auge reichte, fügte einen menschlichen Zug hinzu. Offensichtlich war ihm von einem feindlichen Rasiermesser eine Wunde zugefügt worden, dachte Mary. Wie furchtbar Mrs Albright diesen unwürdigen Vorfall wohl gefunden haben mochte?
An diesem Abend schien die alte Dame ganz freundlich gestimmt zu sein. Das Feuer hatte sie, zumindest vorübergehend, aufgetaut. Das war jedenfalls Marys erster Eindruck, als sie Mrs Albright den Kopf wohlig hin- und herwiegen und die Wärme träge in sich aufsaugen sah.
»Ich habe heute nur wenig Leute eingeladen, nur ganz bestimmte«, erläuterte Hester. »Ich mag kleine Gesellschaften lieber. Sie sind einfach intimer.«
»Oh, beaucoup, beaucoup plus «, bestätigte Orville. »Der Mensch hat hiernieden nur wenig Bedürfnisse und nur für kurze Zeit«, zitierte er. Dann fragte er Mary so unvermittelt, dass es ihr schien, er fordere sie zu einer positiven Antwort heraus: »Waren Sie in der letzten Zeit im Metropolitan Art Museum?«
»Nein«, stotterte sie ganz schuldbewusst.
»Die Bilder sind sehr schön, très, très beaux «, gab Orville kund und rieb sich die winzigen
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