Night Academy 2
wären.«
Ich hielt mir die Augen zu, wollte die Bilder verscheuchen, die er mir in den Kopf gesetzt hatte. »Ich glaube dir nicht.«
»Doch, das tust du.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt. »Ich muss auflegen, Jack.«
»Es gibt jede Menge Geschichten wie die von Ethan. Die behaupten jedes Mal, es sei zu eurem Besten, aber es ist immer noch Mord! Die wollen dir weismachen, dass sie im Recht und wir im Unrecht sind, doch so einfach ist das nicht. Sie wollen Macht genau wie wir, nur dass wir uns nicht vormachen, wir würden hehre Ziele verfolgen.«
Das war zu viel für mich. »Sorry, Jack. Ich hätte nicht anrufen sollen. Ich lege jetzt auf.«
»Lass dich nicht so vereinnahmen«, sagte er. »Die fressen dich bei lebendigem Leibe. Wenn du ihnen erst einmal glaubst, dann ist es zu spät.«
»Tschüss, Jack«, flüsterte ich. »Sei vorsichtig.«
Ich schaltete das Handy aus. Das Display wurde schwarz, doch zwei Worte hatten sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Ethan Hannigan.
Warum hatte ich Jack nur angerufen?
Am Montagmorgen fuhren außer mir nur eine Handvoll Neuntklässler mit der Silberkugel zur Schule, von den höheren Semestern war keiner dabei. Die meisten blieben inzwischen übers Wochenende in der Schule, sogar Hennie und Esther. Die Frühlingsferien standen kurz bevor, und alle hatten Prüfungen, da wollte niemand seine Zeit mit weiten Fahrten vertrödeln. Die Einzigen, die noch nach Hause fuhren, waren die Neuntklässler aus Seattle und Umgebung.
Genauer gesagt: die Neuntklässler und Catherine. Ihre Eltern ließen sie jedes Wochenende nach Kalifornien fliegen, dabei waren sie selbst kaum zu Hause.
Wie benommen schlich ich an jenem Morgen durch die Schule, meinte hinter jeder Ecke einen Wächter oder Irin zu sehen. Eine Kunstklasse hatte übers Wochenende Fotos im Foyer aufgehängt, und die halbe Schule drängte sich vor den Bildern. Die meisten waren künstlerisch schwer durchschaubar – Fotos von alten Autos, Parkplätzen und Maschendrahtzäunen. Wie vieles auf der Night Academy erschloss sich mir auch der Sinn dieser Ausstellung nicht, stattdessen überkam mich bei jedem Bild tiefe Traurigkeit. Ich wusste nicht, wem ich noch trauen konnte und wer mich belog, doch ich fürchtete, die Antworten lauteten »niemandem« und »jeder«.
Ich hatte damit gerechnet, dass sich Esther auf mich stürzen würde, sobald ich die Schule betrat, aber ich sah sie erst in Chemie. Als ich im Klassenraum ankam, saß sie schon hinten und holte ihre Hausaufgaben aus dem Rucksack.
Früher hatte ich mit Jack in der letzten Reihe gesessen. Gleich in der ersten Woche hatten wir begonnen, uns Zettelchen zu schreiben. Als er fort war, hatte sich dann Esther neben mich gesetzt, was auch ganz lustig war, aber wenig hilfreich. Esther und ich schrieben Zettelchen über Jungen, unsere grässlichen Haare und den fragwürdigen Modegeschmack unserer Lehrer. Jack und ich hatten uns tatsächlich über den Unterricht ausgetauscht.
Jack war ganz versessen auf Chemie gewesen, was er nur ungern zugegeben hätte, aber so war es nun mal. Da er wie Barrett und ich über Erdkräfte verfügte, war diese Faszination nur zu verständlich. Jack besaß die Fähigkeit, die Aggregatzustände zu verändern – er konnte Festes in Flüssiges, Flüssiges in Gas verwandeln. Einmal hatten wir darüber gesprochen, ob er auch Menschen verdampfen lassen könnte. Ihm hatte die Vorstellung Angst gemacht, da er nicht sicher war, ob es ihm gelingen würde, sie unbeschadet in die ursprüngliche Form zurückzuverwandeln.
Und wenn er das jetzt versuchte? Wenn die Irin ihn dazu zwangen?
Hennie saß ganz vorn, vier Bänke vor uns, ihr glänzendes Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Sie behauptete, wenn sie neben uns säße, bekäme sie nur Ärger. So schüchtern war sie nun allerdings auch wieder nicht, denn sie schmiegte sich eng an den neben ihr sitzenden Yashir und flüsterte ihm etwas ins Ohr, während der Lehrer noch mit dem Rücken zur Klasse stand.
Ich ließ mich auf den Platz neben Esther fallen und schlug meinen Block auf. Mr Abbas legte gleich mit dem Boyle-Mariotteschen Gesetz los, seine Aufzeichnungen wurden mit einem Beamer an die Wand geworfen. Sicher wäre Jack ganz begeistert gewesen. Er hatte sich schon im vergangenen September mit dem Stoff beschäftigt.
Meine Miene verfinsterte sich, und ich bearbeitete den Block mit meinem Bleistift. Ich musste unbedingt aufhören, an Jack zu denken.
Esther seufzte und räkelte sich, dabei ließ
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