Night Academy 2
sie einen Zettel fallen. Ich wartete einen Moment, dann bückte ich mich, um das Chemiebuch aus meinem Rucksack zu holen. Dabei hob ich Esthers Nachricht auf.
Trevor hat mir einen Korb gegeben.
Ich warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, und in ihren dunklen Augen lag Verzweiflung. Esther sah haargenau aus wie Greta Garbo, mit der sie sich gerade in ihrer Schauspielklasse beschäftigten. Ihr sonst so störrisches Haar umrahmte ihr Gesicht in weichen Wellen, und ihre Lippen waren rot und perfekt geschwungen.
Was ist passiert? Bist du auf ihn zugegangen?
Ich warf den Zettel zu ihr.
Als Mr Abbas sich wieder der Klasse zuwandte, nickten wir eifrig und schenkten ihm unsere ganze Aufmerksamkeit. Doch sobald er mit dem Rücken zu uns stand, tauschten wir Zettel aus.
Am Samstag in der Cafeteria hat er mich die ganze Zeit angestarrt. In der Bibliothek saß er mir dann gegenüber. Wir haben uns nett unterhalten, und ich war schon ganz aus dem Häuschen. Dann kriegte er eine SMS , und das war’s. Er hat mich praktisch mitten im Satz sitzen lassen. Ich habe noch gesehen, wie er mit Anna raus ist, so wichtig kann es also nicht gewesen sein. Heute in Englisch hat er sich dann entschuldigt, meinte, er hätte eine wichtige Verabredung gehabt. Aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Was für eine Verabredung kann er schon mit Anna gehabt haben, die so wichtig gewesen sein soll?!
Ich meldete mich, um Mr Abbas zu zeigen, dass ich aufpasste. Leider war meine Antwort falsch, aber er gehörte zu den Lehrern, die keine Gelegenheit ausließen, das Selbstbewusstsein der Schüler aufzupolieren, also reagierte er extrem wohlwollend. Als er sich dann Hennie widmete, die ihm die richtige Antwort lieferte, kritzelte ich schnell eine Antwort für Esther und schob sie ihr zu.
Er würde dich bestimmt nicht anlügen.
Ich konnte mir schon denken, worum es bei der Verabredung gegangen war, dennoch hätte ich Trevor die Gurgel umdrehen können. Mit Absicht hatte er ihr sicher nicht wehgetan, aber war er wirklich so dämlich und hatte nicht gemerkt, wie es auf Esther gewirkt haben musste?
Esther seufzte schwer und sah mich an. Sie war den Tränen nah. »Ich habe ihn gefragt, ob er heute nach dem Unterricht was unternehmen möchte«, flüsterte sie, »aber er meinte nur, er hätte gerade total viel zu tun, und das würde wohl auch noch die nächsten Wochen so weitergehen. Der will mich nur loswerden, ist doch eindeutig.«
Mr Abbas räusperte sich, und wir schrieben eifrig mit. Ich fragte mich, worüber sich Trevor und Anna wohl unterhalten haben mochten. Ganz sicher hatten Trevors Aktivitäten mit den Irin zu tun.
Sobald es geklingelt hatte, sprang ich auf und zerrte Esther hoch. Sanft packte ich sie bei den Schultern und schüttelte sie, wenigstens konnte ich für den Moment mal an etwas anderes denken als an die Irin. »Keine Sorge, der Nächste kommt bestimmt!«
Sie schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle. Ich hab’s nicht mehr drauf. Der Zauber ist verflogen. Alles Vergangenheit.«
Ich verdrehte die Augen. »Oh bitte, Esther, nun übertreib mal nicht.«
Sie kämpfte mit den Tränen, und da wusste ich, dass ihre Verzweiflung nicht gespielt war.
Esther stopfte den Block in ihren Rucksack. »Seit ich hier zur Schule gehe, hat mir jeder Junge, den ich auch nur ansatzweise gut fand, eine Abfuhr erteilt.«
Hennie und Yashir kamen Hand in Hand auf uns zu und sahen zusammen unglaublich niedlich aus – die winzige Hennie mit ihrem rosa Rollkragenpullover und passendem Haarreif und der hoch aufgeschossene Yashir mit seinen Dreads und den Ringen in Ohren und Nase.
Yashir musterte Esther eingehend, vor allem ihr Gesicht. »Abgefahren«, sagte er. »Du siehst heute so anders aus. Alles okay?«
»Sie ist todunglücklich«, sagte Hennie.
»Na toll«, sagte Esther und befreite eine Locke, die unter den Schulterriemen ihres Rucksacks geraten war. »Das Allerletzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass es auch noch alle wissen.«
Yashir blinzelte irritiert. »Was soll ich nicht wissen?«
»Das ist ein Mädchending«, sagte Hennie zu Yashir. »Jungs kapieren das eh nicht.«
Verständnislos schüttelte Yashir den Kopf. »Da komme ich nicht mehr mit. Sehen wir uns später beim Mittagessen, Hennie?« Er zog sie am Zopf und verpasste ihr einen Nasenstupser.
Sie nickte und sah ihm mit einem dümmlichen Grinsen hinterher.
Ich nahm Esther bei der Hand. »Du darfst dich da nicht reinsteigern.
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