Night Academy 2
Abgebrochene Zweige, Blätter und verrottete Farne bedeckten die Erde. Zu einer Seite fiel das Gelände steil ab, die Baumkronen ließen vermuten, dass wir uns am Rand einer Schlucht befanden. Das war typisch für die Gegend um die Night Academy. Zwar gab es insgesamt keine großen Höhenunterschiede, aber Abhänge und Hügel warteten hinter jeder Biegung.
Schon oft hatte ich mich gefragt, ob es daran lag, dass die Schüler hier ihre Fähigkeiten ausprobierten. Vielleicht besaß jemand die Gabe, Gräben zu ziehen oder Erdreich zu verschieben. Oder etwas in die Luft zu jagen.
Mr Anderson stand am anderen Ende der Lichtung, die Arme über dem Bauch verschränkt, das Kinn energisch vorgeschoben.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte er.
Auf einmal wurde mir mulmig. Und obwohl ich immer wieder versuchte, seinen Blick aufzufangen, wollte Mr Anderson mich nicht ansehen.
»Was ist denn los?«, fragte ich noch und lachte unsicher. »Von hier können mich alle noch schreien hören.« Barrett, Mr Fritz und Mr Anderson stellten sich im Dreieck um mich auf. Ich wirbelte herum. »Ist das wieder einer Ihrer Psychotests, Mr Fritz?«
»Es ist mehr eine praktische Aufgabe«, sagte Mr Fritz.
Barrett und Mr Anderson traten jeweils einen Schritt auf mich zu. Ich war eingekesselt und wollte nach hinten auszuweichen.
»Sorry, aber du gehst jetzt nirgendwohin«, sagte Barrett. Jedenfalls nicht, bevor die Stunde vorbei ist.«
»Du machst mir richtig Angst«, sagte ich und warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was wollt ihr mir denn beibringen?«
»Das wissen wir selbst noch nicht genau«, sagte Mr Fritz. »Das wird sich zeigen.«
Ich ließ meinen Pulli fallen. »Also gut. Treten Sie der Reihe nach gegen mich an oder alle auf einmal?«
Mr Anderson hob die Hände. »Alle auf einmal.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Im Ernst, Mr Fritz?«
Kaum hatte er genickt, da traf mich auch schon Barretts erste Attacke. Hitze durchflutete mich, stieg durch die Zehen in die Beine. Mein Herz schlug auf einmal unregelmäßig. Ich streckte die Hände aus, meine Haut färbte sich dunkelrosa. Kleine Rauchwölkchen stiegen von meinen Fingerspitzen auf.
Es sah zwar schön aus, fühlte sich aber schrecklich an, als würde ich am heißesten Tag des Jahres in der Sonne braten. Mein Gesicht brannte, und die Atemluft versengte mir Kehle und Lunge.
»Ich weiß, dass du eigentlich noch nicht bereit dafür bist«, sagte Mr Fritz mit Bedauern. »Aber wir haben keine Wahl. Wir müssen dich weiterbringen.«
Ich wollte fragen, was sich so plötzlich verändert hätte, doch wegen der Hitze konnte ich kaum noch klar denken. Ich holte tief Luft und versuchte, das Gefühl zu verdrängen. »Was erwarten Sie jetzt von mir?«
»Wehr dich. Das wolltest du doch gerade, oder?«
Darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Warum waren alle auf einmal gegen mich?
Mr Fritz schien ein Einsehen zu haben. »Du ringst noch mit dir, das habe ich mir schon gedacht. Ehrlich gesagt wird das keine leichte Aufgabe für dich.«
»Vielen Dank für die ermunternden Worte«, keuchte ich.
Mit jedem Atemzug wurde mir heißer. Barrett ließ seine Kräfte unvermindert spielen. Angestrengt blinzelte ich in seine Richtung, um die Fäden auszumachen, mit denen ich ihn umwerfen konnte. Meine Sicht wurde von einem Rauchschleier getrübt, doch endlich nahm ich undeutlich die dunklen Linien wahr, die meine einzige Rettung waren.
Ich zwang mein vernebeltes Hirn, die Informationen zu verarbeiten. In den Fingerspitzen spürte ich das vertraute Kribbeln. Wie eine Wahnsinnige riss ich an dem Band, das Barrett mit der Erde verband. Er fiel zu Boden, wo er reglos auf dem Rücken liegen blieb.
Ich fürchtete, ihm ernstlich wehgetan zu haben, denn er rührte sich nicht mehr, und alles begann sich abzukühlen. Gerade wollte ich nach ihm sehen, da spürte ich, wie etwas an meinem Fuß zerrte und ich beinahe das Gleichgewicht verlor. Um meinen Fuß hatte sich eine dünne Efeuranke geschlungen. Ich versuchte sie abzuschütteln, dachte noch, ich sei wohl versehentlich hineingetreten, als bereits die nächste Ranke vom Rand der Lichtung auf mich zugeschlängelt kam.
Ich fuhr zu Mr Anderson herum, der vor sich hinmurmelnd auf und ab lief und sich wieder und wieder mit den Händen durch den Haarkranz fuhr. Um mich regten und reckten sich die Pflanzen. Wie winzige Finger streckte sich wilder Wein mir durchs Gras entgegen. Der Efeustrang, den ich gerade losgeworden war, rankte nach oben und drehte sich
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