Night Academy 2
denn ich wusste nicht genau, wie der Ahorn fallen würde. Doch zu diesem Zeitpunkt kümmerte mich das nicht mehr. Barretts Stimme schnitt mir mitten durchs Herz. Diesen Menschen hatte ich vertraut, und nun hatten sie sich gegen mich verschworen; der Verrat schmerzte ebenso sehr wie meine glühenden Beine.
Barrett kniff die Augen halb zu, und winzige Flammen leckten an meinen Schuhspitzen, schmolzen die Sohlen, schwärzten das Leder.
»Gib auf, Dancia«, sagte er ruhig. »Du bist noch ein Kind. Du hast keine Kontrolle.«
»Halt die Klappe!«, schrie ich. Er hatte recht, aber das machte mich nur noch wütender. Daraufhin hagelte es Zweige und Äste von den umliegenden Bäumen. Mir war gar nicht bewusst, dass ich sie in Gedanken gestreift hatte, doch sie gingen wie Speere auf Mr Anderson, Mr Fritz und auch Barrett nieder. Barrett duckte sich und wehrte die Äste mit den Händen ab, zuckte dabei jedes Mal zusammen, wenn ihm ein Ast in die Haut stach.
Dann richtete er die Hand auf mich, und ein fürchterlicher Schmerz ging mir durch und durch. Ich geriet ins Taumeln, meine Klamotten schwelten und rauchten. Bislang hatte Barrett mich nicht ernstlich verletzt, doch je aggressiver wir kämpften, desto gefährlicher wurde es. Ein Rhododendron erwachte zum Leben und schoss aus dem Boden, Erde und Steine regneten auf uns nieder, als der Strauch immer schneller durch die Luft wirbelte. Moos und abgestorbene Pflanzenteile fegten über die Lichtung.
»Dancia, was machst du denn?«, rief Mr Fritz, der auf dem Boden kauerte und sein Gesicht mit den Händen schützte.
»Ich kämpfe. Genau wie Sie es wollten.« Ich versuchte, meinen Geist zu leeren, aber zu viel spukte mir im Kopf herum. Die Trümmer aus Gedanken, Wut und Verunsicherung hatten sich meterhoch aufgeschichtet und ließen mich nicht los. Der Schmerz ergriff Besitz von mir; die schwarzen Fäden und dunklen Kräfte nahmen mich gefangen. Mr Fritz brüllte, und Barrett grinste. Auf einmal wollte ich nur noch meine Ruhe, die Erde sollte wieder in ihre ursprüngliche Form zurück, die Äste sollten nicht länger von den Bäumen fallen. Doch inzwischen hatte ich jede Kontrolle verloren. Die Naturgewalten waren entfesselt. Ein fürchterliches Knirschen und Knacken schallte durch die Lichtung, irgendwie musste ich die Wurzeln einer alten Fichte gelockert haben. Der Baum war bestimmt drei Meter hoch und bog sich wie ein Grasbüschel im Wind.
Mit der mir verbliebenen Kraft versuchte ich den schwankenden Baum zu stützen. Aber ich war ausgelaugt. Die Schmerzen und die Anstrengung, die es mich gekostet hatte, meine Gabe über einen solch langen Zeitraum einzusetzen, hatten mich erschöpft. Die Baumkrone neigte sich immer tiefer, und die Zweige schlugen gegen eine benachbarte Eiche. Vergeblich stemmte ich mich dagegen, schrie erschöpft auf. Nur mit Mühe hielt ich mich noch auf den Beinen.
»Dancia, halte ein!«, brüllte Mr Fritz, aber ich war nicht mehr in der Lage dazu, dem allem ein Ende zu machen.
Ich erinnere mich nur noch, dass Mr Anderson mir zurief, ich solle weglaufen, und an das Krachen von Zweigen.
16
A ls ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah einen besorgten Mr Fritz, der mir die Wangen täschelte.
»Gott sei Dank! Wie geht es dir? Ist dir noch schwindelig? Weißt du, was heute für ein Tag ist? Welches Jahr?«
»Ich glaube, Sie sollten erst meine Antwort abwarten, ehe Sie die nächste Frage stellen, Mr Fritz«, sagte ich mürrisch und richtete mich auf. Sämtliche Muskeln taten mir höllisch weh, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir, und meine Haut spannte überall und war unangenehm warm. Ich streckte die Hände aus; sie waren nach wie vor leicht gerötet. Meine Schuhe waren hinüber, die Sohlen kaum noch zu erkennen, zum Glück waren meine Klamotten noch halbwegs in Ordnung, nur an manchen Stellen leicht versengt.
»Ihr geht’s gut«, bellte Mr Anderson. Er beugte sich über mich, sodass mir seine riesige Gestalt alles Licht nahm. Eine Eiche lag am Boden, von ihren Wurzeln rieselten Klumpen frischer Erde. Überall lagen Äste herum, manche steckten wie Speere im Boden. Anhand dreier Kreise aus Ästen und Zweigen konnte man noch sehen, wo sich Mr Fritz, Mr Anderson und Barrett befunden hatten; rings um die Lichtung verlief eine Umgrenzung aus Stein.
Die riesige Fichte hingegen war noch an Ort und Stelle.
»Ich habe schnell neue Wurzeln wachsen lassen. Das hat dem Baum Stabilität gegeben. Du
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