Night Academy 2
würdest. Aber nicht, weil wir dir nicht trauen. Wir haben noch nie jemanden mit deiner Begabung auf der Night Academy gehabt. Wir tappen im Dunkeln, lernen durch Erfahrung, genau wie du.«
»Bitte, Mr Fritz«, sagte ich müde. »Keine Lügen mehr. Nicht jetzt.«
»Das ist aber die Wahrheit«, sagte er beharrlich. »Als wir mit dem Unterricht begannen, hatten wir Angst. Das gebe ich gern zu. Wir haben geglaubt, wir müssten ganz klein anfangen, um dir auf diese Weise Kontrolle beizubringen. Aber der Vorfall auf der Party hat uns deutlich gemacht, dass wir falschlagen. Uns ist klar geworden, dass wir dich auf die nächste Stufe bringen müssen.«
»Und die wäre … ?«
»Voller Einsatz deiner Kräfte. Und zwar nicht mit Stiften und Stöckchen, sondern in einer konkreten Gefahrensituation. Und dabei solltest du von Freunden und nicht von Feinden umgeben sein. Darum ging es in der heutigen Stunde. Nicht etwa darum, dir zu zeigen, wie gefährlich du bist.«
»Und jetzt sind wir wieder Freunde?« Ich lachte bitter und wischte mir die Nase am Ärmel ab. »Fast wäre ich drauf reingefallen.«
»Bist du nicht froh, dass es heute passiert ist und nicht mitten auf der Santiam Lane vor Annas Haus?«, fragte Barrett. »Wir versuchen, dir zu helfen, D., dich auszubilden. Du musst schon ein wenig nachsichtig mit uns sein, wenn es nicht gleich beim ersten Mal hinhaut.«
»Du hast mich fast in Brand gesteckt«, sagte ich zu ihm. »Mich ausgelacht. Und da soll ich nachsichtig sein?«
Er grinste. »Und du hast mir fast das Kreuz gebrochen, aber ich wollte ja schon immer fliegen. War eigentlich ziemlich abgefahren. Das müssen wir unbedingt noch mal machen.«
Ich war nicht zum Scherzen aufgelegt. »Wie kannst du nur so tun, als wäre nichts passiert? Ich hätte dich beinahe umgebracht. Wie kann ich meine Gabe nutzen, wenn ich so gefährlich bin?«
»Wir sind alle gefährlich. Manche vielleicht etwas mehr als andere, aber du hast nur getan, was wir von dir verlangt haben. Du hast alles ganz richtig gemacht.« Barrett deutete auf Mr Anderson, der uns finstere Blicke zuwarf. »Du hast dich gewehrt und uns trotzdem am Leben gelassen. Wir haben dich provoziert, D., und du hast mit aller Macht zurückgeschlagen.«
»Aber ich habe die Kontrolle verloren. Am Ende konnte ich es nicht mehr aufhalten. Wenn der Baum umgefallen wäre … «
»Wären wir alle tot«, sagte Mr Anderson. »Aber er ist nicht umgefallen, und keinem ist etwas geschehen. Du hast die Situation länger im Griff gehabt, als wir erwartet haben. Statt dir Vorwürfe zu machen, solltest du stolz auf dich sein.«
Barrett sprang auf. »Nun weißt du, was du noch zu lernen hast. Du bist wie ein Kind, das gerade laufen lernt. Du wirst noch oft auf die Nase fallen. Hauptsache, du vertraust darauf, dass wir dich immer wieder aufheben.«
Mr Fritz fuhr mit den Händen durch seinen Haarschopf und entfernte Erdklumpen und ein Blatt. »Wir wollen dir nur helfen. Auch wenn es sich im Moment nicht so anfühlen mag. Eines Tages wirst du Ziel eines Angriffs sein, Dancia. Ich sage es wirklich nur ungern, aber so ist es. Wenn herauskommt, wie mächtig du bist, wird man dich aus dem Weg räumen wollen.«
»Wer? Die Irin?«, fragte ich.
Die drei tauschten bedeutungsvolle Blicke. Ich dachte, sie würden mir widersprechen oder alles leugnen, aber sie schienen noch nicht einmal überrascht. Cam musste ihnen wohl von unserem Gespräch nach der Party berichtet haben.
»Ja«, sagte Mr Fritz, »die Irin. Bis dahin musst du gelernt haben, dich zu verteidigen.«
»Wir haben dich gern«, fügte Barrett hinzu. »Wir wollen dir doch nur helfen.«
»Wir alle«, knurrte Mr Anderson.
Ich blinzelte erneut durch einen Tränenschleier. Ein Troll, eine menschliche Fackel und ein verrückter Gärtner wachten also über mich. Und ich fand das auch noch tröstlich. Was eine Menge darüber aussagte, wie es um mein seelisches Gleichgewicht stand. »Ähm, danke.«
Sobald ich mich wieder auf den Beinen halten konnte, trotteten wir zurück zur Schule. Anfangs mussten mich Barrett und Mr Fritz noch stützen. Doch als wir die Sportplätze erreichten, hielt ich mich schon allein auf den Beinen, wenn auch etwas wackelig. Als ich dann auf die Uhr sah, konnte ich kaum glauben, dass es erst drei war. Mir kam es viel später vor.
Kaum waren wir in Sichtweite der Schule, stürmte Cam uns entgegen. Seine normalerweise eher sanften Züge zeigten wilde Entschlossenheit. Ohne große Umstände nahm er meine Arme,
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