Night Academy 2
nicht verhindern. Wenn sie einen Ast beiseite schob oder auf einen Zweig trat, würde ich es mitbekommen.
In der Ferne schrie jemand auf. Es klang auf jeden Fall nach einem Mädchen. Auch wenn ich die Stimme nicht genau erkennen konnte, dachte ich sofort an Anna. Die Vorstellung, dass Xavier und ich nun auf uns allein gestellt waren, machte die Sache noch aufregender, allerdings hoffte ich für unser Team, dass Anna nicht ausgeschieden war.
Xavier lief unbeirrt weiter, und ich tat es ihm gleich. Mir kam es vor, als würde ich einem Bluthund an kurzer Leine folgen. Er zerrte mich hinter sich her, und alle naselang sah ich mich gehetzt um. Auf Xaviers T-Shirt breitete sich zwischen den Schultern ein Schweißfleck aus.
Ein paar Minuten später blieb er stehen und untersuchte interessiert den Boden. »Die Spur stammt von mehr als einer Person«, sagte er und deutete auf eine Stelle vor uns. »Eher von drei oder vier. Von heute, glaube ich – vielleicht ist sie nur ein paar Stunden alt.«
Blinzelnd starrte ich nach unten, konnte aber außer einem dicken Bett aus Tannennadeln und Farnen nicht viel erkennen. Die Blätter eines Farns waren zerrupft, und an einer kahlen, sumpfigen Stelle am Boden sah man etwas, das Abdrücke von Schuhen hätten sein können. Ehe ich michs versah, hatte sich Xavier wieder in Bewegung gesetzt und trabte nun in Richtung Hütte, jedenfalls meinem Gefühl nach. Ich sah auf den Kompass. Wir waren erst nach Süden gelaufen und näherten uns nun der Hütte aus östlicher Richtung. Allerdings folgten wir einem sehr gewundenen Pfad, sodass ich nie genau sagen konnte, wo wir uns befanden.
»Warum sollten drei oder vier Leute das Gift versteckt haben?«, flüsterte ich.
Xavier folgte der Spur weiter. »Weiß ich nicht«, sagte er. »Mal sehen, wohin die Spur führt.«
Nach ein paar Minuten blieb Xavier abermals stehen. »Das hier ist jetzt Mr Fritz’ Spur«, sagte er. »Aber die verläuft in eine andere Richtung.«
»Wohin führt denn die Spur der anderen?«
»Zur Hütte.«
»Dann folgen wir Mr Fritz’ Spur«, sagte ich.
Xavier nickte und begutachtete die Spur noch einmal. Zum Glück hatten wir angehalten, denn schon im nächsten Augenblick hörte ich es im Wald knacken.
»Duck dich!«, rief ich.
Xavier warf sich auf den Boden und robbte auf einen umgestürzten Baum zu. Ich fummelte nach meiner Waffe und versuchte, Xavier mit meinem Körper zu schützen. Mit einem dumpfen Knall schlug eine Farbpatrone neben mir in einen Baum ein. Seltsamerweise waren keine Farbspritzer zu sehen, sondern nur eine schwache orangefarbene Markierung in der Rinde. Eine Sekunde später folgte der nächste Schuss. Die Patrone erwischte mich am Schlüsselbein, als ich mich zum Feuern umdrehte. Die Wucht des Aufpralls schleuderte mich zur Seite, obgleich das Geschoss nicht platzte oder explodierte, sondern lediglich abprallte. Mir kam es vor, als hätte mich ein Stein getroffen. Japsend kroch ich zu Xavier.
Er befühlte meine Schulter. »Hat keinen Abdruck hinterlassen«, flüsterte er.
Ich zuckte zusammen, als er mit dem Finger über mein Schlüsselbein fuhr. Es hatte sich nicht angefühlt wie ein Paintball. Cam hatte gesagt, dass sie blaue Flecke hinterlassen könnten, aber das tat wesentlich mehr weh. Nicht auszumalen, wenn mich dieses Geschoss an der Brust getroffen hätte. Oder gar am Kopf.
In Xaviers dunklen Augen stand Sorge. »Du kannst doch im Spiel bleiben, oder? War ja nicht in der Strike Zone.«
Ich nickte, und versuchte, den brennenden Schmerz in meiner Schulter auszublenden. Vergeblich. »Ich glaube schon. Aber es tut höllisch weh.«
»Vom Paintball? Ich dachte, das brennt nur ein bisschen.«
Ich zerrte an meiner Weste, vielleicht lag es ja an den Schulterriemen, dass es so wehtat. Aber das brachte auch nichts. »Von wegen«, sagte ich.
»Kannst du noch schießen?«
»Wenn es hart auf hart kommt.«
Xavier platzierte den Lauf seiner Waffe auf dem Baumstamm. »Dann werde ich mich darum kümmern. Halt du derweil Ausschau nach Molly.«
Ich konzentrierte mich auf die Kraft meiner Gabe und genoss die knisternde Energie, die durch meinen Körper jagte. Früher hatte mir das Angst gemacht, doch nun wusste ich, dass ich die Kontrolle behalten konnte.
Auf der Lichtung regte sich nichts, doch auf der anderen Seite neben dem Stamm einer alten Zeder nahm ich eine Bewegung wahr – vielleicht war es auch nur der Wind oder ein altes Blatt. Dennoch stupste ich Xavier an, der daraufhin vier Schüsse in
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