Night Academy 2
sagte Esther. »Ich betrüge ja niemanden oder so.«
»Nein, du doch nicht«, bemerkte ich sarkastisch.
»Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?«, fragte sie. »Was ist los? Und wo ist Cam überhaupt? Den habe ich schon ewig nicht mehr gesehen.«
»Keine Ahnung. Wir machen eine Beziehungspause.«
»Was?« Sie klappte den Spiegel zu und hielt mich am Arm fest. »Ist das dein Ernst? Seit wann?«
»Seit einer Woche.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Du hast dich vor einer Woche von Cam getrennt und mir nichts gesagt?«
»Wir machen nur eine Pause«, sagte ich erneut. »Wir haben uns nicht getrennt. Das ist ein Riesenunterschied. Und wann hätte ich es dir sagen sollen? Jedes Mal, wenn ich nach dir Ausschau halte, hast du einen neuen Jungen im Arm.«
Nun hielt sie mich so fest, dass ich nicht weiterlaufen konnte. »In dem Monat seit den Frühlingsferien war ich mit zwei Jungen zusammen. Aus deinem Mund hört es sich an, als wäre ich die Oberschlampe.«
Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. »Natürlich bist du keine Schlampe. In der letzten Zeit ist es nur schwierig, dich mal allein zu treffen.«
Esther rückte ihre Haarspange zurecht. »Das musst ausgerechnet du sagen! Wie oft hast du mich schon für Cam versetzt?«
Ich schob die Hände tief in die Taschen und starrte auf meine alten Turnschuhe. Das wäre die Krönung des heutigen Tages, wenn ich es mir jetzt auch noch mit Esther verderben würde. »Tut mir leid. Du hast ja recht. Ich habe einfach eine schlimme Woche hinter mir.«
Ihre Stimme wurde sanfter. »Willst du darüber reden?«
»Nein. Jedenfalls nicht jetzt.«
»Dann setzen wir uns einfach zusammen und lästern über Catherine. Was hältst du davon?«
Zögernd lächelte ich. »Weißt du, eigentlich ist sie in letzter Zeit ganz okay gewesen.«
Theatralisch stolperte Esther rückwärts. »Was? Okay ? Ist sonst noch irgendwas vorgefallen? Ist dir ein dritter Arm gewachsen, oder hat man dich heilig gesprochen?«
Nun musste ich doch lachen. »Ihre Eltern trennen sich, und sie hat es gerade nicht leicht. Ich glaube, sie hat nicht so viele Leute zum Reden.«
»Ist ja auch kein Wunder«, sagte Esther. »Sie ist ein Freak. Und außerdem hat sie dir die ersten acht Monate hier zur Hölle gemacht, also erwarte bitte nicht, dass ich ihr so leicht vergebe.«
Wie sie mich so mütterlich ansah, die Hände empört in die Hüften gestemmt, blitzte für einen Moment die alte, bodenständige Esther auf.
»Deine Loyalität in allen Ehren. Aber im Ernst, du musst unbedingt nett zu ihr sein.«
»Hmpf.« Sie kniff die Augen zusammen. »Mal sehen. Ein einziger fieser Kommentar, und sie ist wieder untendurch.«
»Abgemacht.«
Als wir über die Marmortreppe ins Freie traten, schüttete es draußen. Esther hielt sich schützend ihren Rucksack über den Kopf. Ich trabte los, und Esther folgte ein paar Schritte hinter mir; als wir beim Res ankamen, keuchte sie bereits.
»Du kannst doch nicht nach zweihundert Metern aus der Puste sein«, sagte ich.
»Doch, das kann ich. So weit bin ich nicht mehr gerannt, seit ich aus dem Laufteam ausgeschieden bin.«
Wir gackerten, und mir wurde bewusst, wie sehr ich sie vermisst hatte. Arm in Arm liefen wir die Stufen hoch, und in diesem Moment war ich fast glücklich, obwohl alles andere in meinem Leben den Bach runterging.
»Nur noch drei Wochen Schule, kannst du dir das vorstellen?«, fragte Esther und schloss die Tür zu ihrem Zimmer auf.
Ich ließ mich auf ihr Bett fallen. Im Gegensatz zu mir besaß Esther eine passende Garnitur aus Kissen und Federbett. Ich vergrub das Gesicht in den weichen Daunen und versuchte, alle Gedanken an Barrett auszublenden. »Kann ich nicht«, sagte ich. »Und nächste Woche fahren wir schon zelten. Meinst du, ich kann mich irgendwie drücken? Ich sag einfach, ich bin allergisch gegen Frischluft.«
Jedes Jahr fuhren die Neuntklässler für vier Tage auf die San-Juan-Inseln. Gedacht war es als kleine Verschnaufpause vor dem Endspurt am Schuljahresende. Montag ging’s los und am Donnerstag wieder zurück. Die ehemaligen Gruppenleiter der Einführungsveranstaltungen und ein paar weitere Elftklässler würden uns begleiten, um vor Ort Kajaktouren und Wanderungen anzuleiten. Cam würde dort sein. Anna und Trevor ebenfalls.
Vor wenigen Wochen wäre das für mich und Cam noch eine wunderbare Gelegenheit gewesen, sich unbemerkt in den Wald zu verdrücken. Nun klang es auf einmal total deprimierend. Mir fiel auf, dass
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