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NIGHT SHOW - Thriller (German Edition)

NIGHT SHOW - Thriller (German Edition)

Titel: NIGHT SHOW - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Eltern taten, als wäre sie tatsächlich von den Toten auferstanden. Während sie weinten, stellte der Arzt ihr Fragen. Erinnerte sie sich an ihren Namen, ihre Adresse, ihr Geburtsdatum? Erst als sie die Antworten gab, schien die Anspannung von ihrer Mutter und ihrem Vater abzufallen. Ob sie sich an die Nacht des Unfalls erinnerte? Oh ja, an jedes Detail. Nur flüsterte ihr aus einem bislang unbekannten, verschlagenen Winkel ihres Gedächtnisses eine Stimme zu, nichts zu verraten.
    Ich war zu Fuß von der Bibliothek unterwegs nach Hause, und dann ... und dann ... weiß ich nichts mehr.
    Das sei völlig normal bei einem Trauma dieser Art, versicherte der Arzt. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsse. Ein Abwehrmechanismus der menschlichen Psyche, um sich zu schützen.
    Die Erinnerung an ihre dreiste Lüge erregte sie, verdrängte ihre momentane Angst und ließ sie grinsend zur Decke hochstarren.
    Schon damals hatte sie gewusst, welche Aufgabe jetzt vor ihr lag. Eine geheime Mission.
    Abermals schaute sie zur Uhr. Lediglich drei Minuten waren vergangen.
    Linda verschränkte die Hände hinter dem Kopf und spürte das sanfte Kitzeln ihrer weichen Haare. Ihr Magen schlug Purzelbäume.
    Denk bloß nicht darüber nach.
    Rasch setzte sie sich auf. Kein Nachdenken mehr, kein Warten mehr.
    Sie schwang die Beine über die Bettkante und stand behutsam auf. Obwohl sich ihr linker Unterschenkel nach wie vor schwach und wund anfühlte, wusste sie, dass die Muskulatur inzwischen wieder kräftig genug war, um ihr Gewicht zu halten. Der Gips war ihr vor zwei Wochen abgenommen worden. Sie hatte konstant trainiert, um die verkümmerten Muskeln zu regenerieren. Heute fühlte sie sich bereit.
    Sie trat ans offene Fenster und zog ihr Nachthemd aus. Die warme Nacht hauchte ihr entgegen, duftete nach Sommer und versetzte sie in banges Verzücken. Ihr Atem zitterte, als sie durch das hohe Fenster blickte. Mit einer Ausnahme brannte in keinem Haus in der Umgebung mehr Licht. Auf den Rasen, den Bürgersteigen, der Straße rührte sich nichts. Die Nachbarschaft wirkte völlig verwaist, als wären alle Bewohner vor einer entsetzlichen Bedrohung geflohen.
    Linda wandte sich vom Fenster ab. Sie zog eine Kommodenschublade auf, holte ihre Yankee-Baseballmütze daraus hervor und setzte sie auf. Erst danach gestattete sie sich einen Blick in den Spiegel. Als sie grinste, zeichneten sich ihre Zähne fahl schimmernd ab. Als Nächstes nahm sie eine Bandage aus der Kommode und wickelte sich diese um die Brust. Das elastische Band war nicht lang genug, um ihren Körper mehr als einmal zu umrunden, aber sie zog es fest an und quetschte ihren Busen, bis es schmerzte. Sie befestigte den Verband mit kleinen Klemmen, bevor sie ein dunkles, kariertes Hemd überstreifte. Es gehörte ihrem Bruder, und sie hatte es am Nachmittag heimlich aus seinem Schrank stibitzt. Sie zog es an und knöpfte es zu, krempelte die Ärmel hoch und betrachtete ihr Spiegelbild. Ihre platt gedrückten Brüste zeichneten sich unter dem Stoff lediglich als winzige Ausbuchtungen ab. Aus gewisser Entfernung würde sie jeder für einen Jungen halten.
    Linda komplettierte ihr Outfit mit einer Jeans und Adidas-Laufschuhen und machte sich erneut an der Kommodenschublade zu schaffen. Sie schob die ordentlich gestapelte Unterwäsche zur Seite und holte den 38er Smith-&-Wesson-Revolver ihres Vaters aus seinem Versteck. Linda zog den Bauch ein und ließ die Waffe mit dem Lauf voran im Hosenbund verschwinden. Das Metall fühlte sich kühl an. Die Mündung scheuerte an ihrem Schritt, als sie zur Tür ging. Kurz spielte Linda mit dem Gedanken, den Revolver stattdessen in die Hosentasche zu stecken, aber sie genoss die heiße Erregung, die sie durchzuckte, zu sehr.
    Behutsam öffnete sie die Tür. Sie streckte den Kopf in den Flur hinaus und blickte in beide Richtungen. Er lag verwaist und dunkel vor ihr. Kein schmaler Lichtstreifen, der darauf hindeutete, dass in einem der anderen Zimmer noch Licht brannte.
    Mit langen Schritten schlich sie über den Teppich, wobei sie die Füße leise von der Ferse zu den Zehen abrollte, wie sie es schon in jener Nacht getan hatte, in der die drei Jungen sie entführten ...
    Nein, sie durfte sich nicht gestatten, darüber nachzudenken.
    Vor der Tür ihres Bruders knarrte eine Holzdiele. Linda zuckte zwar zusammen, ging aber weiter, zumal sie wusste, dass Bob selbst von einem Erdbeben nichts mitbekommen würde, wenn er erst einmal schlief.
    Bald erreichte sie

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