Night World - Gefährten des Zwielichts - Smith, L: Night World - Gefährten des Zwielichts - Night World - Soulmate
gebracht. Sie hat mich hier zurückgelassen, damit ich ganz allein in der Dunkelheit sterbe. Dann verlor Hannah für eine Weile einfach die Kontrolle. Sie schrie um Hilfe und hörte ihre Stimme seltsam widerhallen. Sie zog und zerrte mit den Fingern an dem Seil, bis ihre Fingerspitzen aufgeschürft waren. Sie warf sich von einer Seite auf die andere und versuchte, das Seil oder den Pfosten zu lockern, bis der Schmerz in ihrer Taille so groß wurde, dass sie aufhören musste. Und schließlich gab sie der überwältigenden Angst nach und schluchzte laut auf.
Sie hatte sich noch nie, niemals so verlassen und allein
gefühlt. Doch am Ende weinte sie sich aus, und als sie schließlich keuchend zu weinen aufhörte, stellte sie fest, dass sie wieder ein klein wenig denken konnte.
Hör zu, Mädchen, du musst dich zusammenreißen. Du musst dir selbst helfen, denn es ist niemand sonst da, der es tun könnte. Das war nicht die kühle Windstimme oder auch nur die Kristallstimme – denn sie waren jetzt beide einfach ein Teil von ihr. Es war Hannahs eigene Gedankenstimme. Sie hatte all ihre Reinkarnationen und damit zusammenhängenden Erfahrungen akzeptiert, und im Gegenzug spürte sie, dass sie Zugriff zumindest auf einen Teil ihres Wissens aus früheren Leben hatte. Okay, dachte sie grimmig. Es wird nicht mehr geweint. Denk nach. Was kannst du über deine Situation sagen?
Ich bin nicht draußen im Freien. Ich weiß es, weil hier überhaupt kein Licht ist und wegen des Echos, das meine Stimme hatte. Ich bin in einem großen … Raum oder irgendetwas. Er hat eine hohe Decke. Und der Boden besteht aus Stein.
Gut. Okay, kannst du irgendetwas hören?
Hannah lauschte. Es war schwer, sich auf die Stille um sie herum zu konzentrieren – sie ließ ihre eigene Atmung und ihren Herzschlag beängstigend laut wirken. Sie konnte spüren, wie ihre Nerven ausfaserten … Aber sie ließ nicht nach, ignorierte ihre eigenen Geräusche, und versuchte, mit den Ohren in die Dunkelheit
hineinzuspüren. Dann hörte sie es. Aus weiter Ferne, ein Geräusch wie von einem langsam tröpfelnden Wasserhahn.
Was zur Hölle …? Ich befinde mich in einem großen, schwarzen Raum mit einem Steinboden und einem lecken Hahn.
Halt den Mund. Konzentrier dich weiter. Was riechst du?
Hannah schnupperte. Das funktionierte nicht, daher nahm sie tiefe Atemzüge durch die Nase und ignorierte den Schmerz, als ihr Körper sich gegen das Seil drückte.
Es war modrig hier drin. Dumpf. Es roch feucht und kalt.
Tatsächlich war es sehr kalt. Ihre Panik hatte sie bisher warmgehalten, aber jetzt wurde ihr klar, dass ihre Finger eisig waren und ihre Arme und Beine steif.
Okay, also, was haben wir? Ich befinde mich in einem großen schwarzen kalten Raum mit einer hohen Decke und einem Steinboden. Und es ist modrig und feucht. Ein Keller? Ein Keller ohne Fenster?
Aber sie machte sich etwas vor. Sie wusste Bescheid. Tonnen von Fels schienen auf die Haut ihres Gesichts zu drücken. Ihre Ohren sagten ihr, dass dieses melodische Tröpfeln Wasser auf Stein war, in sehr weiter Ferne. Ihre Nase sagte ihr, dass sie sich nicht in einem Gebäude befand. Und mit den Fingern konnte sie die natürliche Unregelmäßigkeit des Bodens unter sich spüren.
Sie wollte es nicht glauben. Aber das Wissen drängte sich ihr unausweichlich auf.
Ich bin in einer Höhle.
Ich befinde mich unter der Erde. Gott weiß, wie tief in ihrem Inneren. Tief genug, dass ich kein Licht von einem Eingang oder einem Luftschacht sehen kann. Sehr tief im Inneren der Erde, sagte ihr Herz.
Sie befand sich am einsamsten Ort der Welt. Und sie würde hier sterben.
Hannah hatte noch nie zuvor unter Klaustrophobie gelitten. Aber jetzt fühlte sie unweigerlich, dass die Felsmasse um sie herum und über ihr versuchte, sie zu erdrücken. Der Fels kann jeden Augenblick einstürzen, dachte sie. Sie spürte einen körperlichen Druck, als befände sie sich auf dem Grund des Ozeans. Sie hatte plötzlich Mühe zu atmen.
Sie musste sich irgendwie ablenken. Denn sie wollte sich unter keinen Umständen wieder in diese schreiende, sabbernde Kreatur in der Dunkelheit verwandeln. Schlimmer als der Gedanke an den Tod war der Gedanke daran, hier unten wahnsinnig zu werden. Denk an Thierry. Wenn er herausfindet, dass du verschwunden bist, wird er anfangen, nach dir zu suchen. Das weißt du. Und er wird nicht aufgeben, bevor er dich findet.
Aber bis dahin werde ich tot sein, dachte sie unwillkürlich.
Diesmal brachte der Gedanke
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