NIGHT WORLD - Jägerin der Dunkelheit
das.«
»Weißt du, du bist schrecklich launisch. Ich bin nicht die Einzige, der das aufgefallen ist.«
Eine Pause, und Rashel stellte sich vor, dass Quinn einen seiner schwarzen Blicke einsetzte. »Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, welch eine Ironie das Ganze ist. Ich habe einmal einen Job als Sklavenhändler abgelehnt. Das war vorher. Erinnerst du dich an vorher, Lily? Als wir in Charlestown lebten und deine Schwester Dove noch am Leben war. Ein Hauptmann aus Marblehead fragte mich, ob ich menschliche Fracht aus Guinea holen wolle. Schwarzes Gold, nannte er es, glaube ich. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich ihm eins auf die Nase gegeben. Und unser >Immer-für-Gerechtigkeit-und-Glauben<-Johnson hat mich wegen Raufens angezeigt.«
»Quinn, was ist nur los mit dir?«
»Ich schwelge lediglich in Erinnerungen an die alten Tage im Sonnenlicht. Du weißt natürlich nichts darüber, nicht wahr? Du bist eine Lamia; du wurdest so geboren. Technisch gesehen, schätze ich, wurdest du wohl tot geboren.«
»Und technisch gesehen, schätze ich, dass du verrückt wirst: Mein Vater sagte immer, dass das irgendwann geschehen würde.«
»Ja, und ich frage mich, was dein Vater von all dem hier halten würde? Seine Tochter verkauft Menschen für Geld. Und an einen solchen Kunden und aus einem solchen Grund...«
Während Rashel verzweifelt lauschte und jedes Wort in sich aufsog, wurden die beiden von schweren Schritten unterbrochen. Ivan war zurückgekehrt. Quinn brach ab, und er und Lily schwiegen, während ein weiterer Körper auf ein Bett geworfen wurde.
Rashel fluchte im Geiste. Weicher Kunde? Weicher Grund? Sie hatte angenommen, dass die Mädchen als gewöhnliche Haussklavinnen oder Nahrungsvorräte verkauft wurden. Aber das war offensichtlich nicht der Fall.
Und dann geschah etwas, das alle Gedanken an die Zukunft auf der Stelle aus ihrem Geist verjagte. Sie hörte Schritte neben ihrem Bett, und sie spürte, dass jemand sich über sie beugte. Nicht Quinn, der Geruch war falsch.
Ivan.
Eine grobe Hand packte ihren Hals und zog ihren Kopf zurück. Ein Arm schob sich unter ihre Taille und hob sie hoch.
Panik durchzuckte Rashel, und sie versuchte, sie beiseite zu drängen. Sie zwang sich, schlaff zu bleiben, die Augen geschlossen zu halten und die Arme passiv herunterbaumeln zu lassen.
Darauf hätte ich vorbereitet sein sollen.
Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es zu ihrer Rolle gehören könnte, sich beißen zu lassen. Vampirzähne auf ihrer Kehle zu spüren, ihnen zu erlauben, ihr Blut zu vergießen.
Aber es war ihr noch nie zuvor widerfahren, und es kostete sie jedes Gramm ihrer Willenskraft, sich nicht zur Wehr zu setzen. Sie hatte Angst. Ihre gewölbte Kehle fühlte sich nackt und verletzbar an, und sie konnte einen Puls spüren, der wild in ihrem Hals schlug.
»Was machst du da?« Quinns Stimme war scharf wie das Brechen von Gletschereis. Rashel spürte, dass Ivan verharrte.
»Ich habe eine Rechnung mit diesem Mädchen offen. Sie ist eine Klugscheißerin.«
»Lass die Finger von ihr. Bevor ich dich mit dem Kopf durch die Wand ramme.«
»Quinn...«, sagte Lily.
Quinns Stimme war geradezu schmerzhaft deutlich. »Lass sie fallen. Sofort.«
Ivan ließ Rashel fallen.
»Er hat recht«, meinte Lily kühl. »Sie sind nicht für dich bestimmt, Ivan, und sie müssen perfekt in Form sein.«
Ivan murmelte einige mürrische Worte, und Rashel hörte Schritte, die sich entfernten. Sie lag da und lauschte auf ihr Herz, das sich langsam beruhigte.
»Ich werde ein wenig schlafen«, sagte Quinn, dessen Stimme tonlos und dumpf klang.
»Wir sehen uns am Dienstag«, erwiderte Lily.
Dienstag, dachte Rashel. Na großartig. Das werden zwei lange Tage werden.
Es wurden die langweiligsten zwei Tage ihres Lebens. Sie lernte jeden Winkel des kleinen, mit Glasfenstern versehenen Büros kennen. Die Fenster waren ein Problem, da sie sich niemals absolut sicher sein konnte, ob Lily oder Ivan vor
einem davon auf dem Grundstück des Lagerhauses standen und hindurchschauten. Sie lauschte aufmerksam auf die Lagerhaustüren, erstarrte beim leisesten verdächtigen Geräusch und vertraute auf ihr Glück.
Am Montagmorgen wachte Daphne auf. Rashel hatte den Kopf seitlich verdreht und schaute durch das Glasfenster des Büros zu dem einzigen winzigen Fenster hinauf, das hoch oben in die Mauer des Lagerhauses eingelassen war. Gerade als es sich in der Morgendämmerung grau zu färben begann, richtete Daphne sich auf und
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