Night World - Prinz des Schattenreichs - Night World - Black Dawn
Maggie. Dann sah sie P. J. an. »Meinst du, du schaffst das? Einfach losrennen und immer weiter rennen?«
P.J. schluckte zweimal, bohrte die Zähne in die Oberlippe und nickte. Sie drehte ihre Baseballmütze auf dem Kopf um, sodass der Schirm nach hinten zeigte.
»Rennen kann ich«, sagte sie.
Maggie nickte ihr wohlwollend zu. Dann betrachtete sie das vierte Mädchen, das noch immer zusammengerollt dasaß und schlief. Sie beugte sich vor, um das Mädchen an der Schulter zu berühren.
»Vergiss es«, sagte Jeanne knapp. »Wir können sie nicht mitnehmen.«
Maggie sah sie schockiert an. »Was sagst du da? Warum nicht?«
KAPITEL SECHS
»Weil es keinen Sinn hätte. Sie ist schon so gut wie tot.« Jeannes Miene war so hart und verschlossen wie ganz zu Anfang.
»Aber...«
»Verstehst du denn nicht? Sie würde uns aufhalten. Auf gar keinen Fall könnte sie ohne Hilfe laufen. Und außerdem sagt P.J., dass sie blind ist.«
Blind. Ein neuer Schreck durchzuckte Maggie. Wie würde es sich anfühlen, in dieser Situation zu sein und obendrein krank und blind?
Sie rüttelte das Mädchen sanft an der Schulter und versuchte, das abgewandte Gesicht zu sehen.
Aber sie ist schön.
Das Mädchen hatte glatte, milchkaffeefarbene Haut, zarte Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, perfekte Lippen. Das schwarze Haar trug sie in einem losen, glänzenden Knoten im Nacken. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre langen Wimpern zitterten, als träume sie.
Aber es war mehr als nur Äußerlichkeiten. Das Gesicht des Mädchens strahlte eine Heiterkeit aus, eine Sanftheit und Ruhe, die... einzigartig waren.
»He, du«, sagte Maggie leise. »Kannst du mich hören? Ich bin Maggie. Wie heißt du?«
Die Wimpern des Mädchens flatterten, und ihre Lippen
teilten sich. Zu Maggies Überraschung murmelte sie etwas. Maggie musste sich tief über sie beugen, um es zu verstehen.
»Arcadia?«, wiederholte sie. Es war ein seltsamer Name; sie war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte.
Das Mädchen schien zu nicken und murmelte erneut.
Sie kann mich hören, dachte Maggie. Sie kann antworten.
»Okay. Darf ich dich Cady nennen? Hör mir zu, Cady.« Maggie rüttelte das Mädchen sachte an der Schulter. »Wir sind an einem schlimmen Ort, aber wir werden versuchen, zu fliehen. Wenn wir dir raushelfen, meinst du, du könntest rennen?«
Wieder flatterten die Wimpern. Dann öffneten sich die Augen.
Rehaugen, dachte Maggie verblüfft. Sie waren außerordentlich groß und klar, ein warmes Braun mit einem inneren Leuchten. Und sie mochten blind sein, aber Maggie hatte das höchst seltsame Gefühl, dass sie soeben deutlicher als je zuvor in ihrem Leben gesehen worden war.
»Ich werde es versuchen«, murmelte Cady. Sie klang benommen und so, als hätte sie Schmerzen, aber völlig vernünftig. »Manchmal fühle ich mich für kurze Zeit stark.« Sie stemmte sich hoch. Maggie musste ihr helfen, sich in eine aufrechte Position zu bringen.
Sie ist groß. Aber sie ist ziemlich leicht... und ich habe gute Muskeln. Ich kann sie stützen.
»Was machst du da?«, fragte Jeanne mit einer Stimme, die nicht nur schroff und ungeduldig war, sondern zugleich
entsetzt klang. »Verstehst du denn nicht? Du machst es nur schlimmer. Du hättest sie einfach schlafen lassen sollen.«
Maggie blickte auf. »Hör mal. Ich weiß nicht, was du denkst, aber ich kann ihnen niemanden einfach überlassen. Wie würde es dir gefallen, wenn du zurückgelassen würdest?«
Jeannes Gesicht veränderte sich. Einen Moment lang sah sie eher wie ein wildes Tier aus denn wie ein Mädchen. »Ich würde es verstehen«, knurrte sie. »Denn so muss es eben sein. Hier gilt das Gesetz des Dschungels. Nur starke Menschen überleben. Die Schwachen...« Sie schüttelte den Kopf. »Die sind tot besser dran. Und je schneller du das lernst, umso bessere Chancen wirst du haben.«
Entsetzen und Wut stiegen in Maggie auf-und Furcht. Denn Jeanne wusste offensichtlich am meisten über diesen Ort, und Jeanne hatte möglicherweise recht. Vielleicht würden sie alle wegen einer einzigen schwachen Person, die es ohnehin nicht schaffen würde, wieder eingefangen werden...
Sie drehte sich um und betrachtete noch einmal das hübsche Gesicht. Arcadia war in Miles’ Alter, achtzehn oder neunzehn. Und obwohl sie zu hören schien, was Jeanne sagte - sie hatte ihr Gesicht in deren Richtung gedreht -, sprach sie kein einziges Wort und erhob auch keine Einwände. Ebenso wenig verlor sie ihre ruhige Sanftheit.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher