Night World - Retter der Nacht
abschminken, Rasmussen.«
»Mensch, Phil, lass mich in Ruhe.«
Aber stattdessen trat Phil vor ihn und zwang James so, ebenfalls stehen zu bleiben. Phil atmete hektisch und seine grünen Augen brannten. »Okay, Kumpel«, sagte er. »Ich weiß nicht, was du mit Poppy vorhattest, aber es ist vorbei. Von jetzt an hältst du dich von ihr fern, kapiert?«
Bilder, wie er Phil mühelos den Hals brach, tanzten vor James’ Augen. Die Verlockung war groß. Aber Phil war Poppys Bruder und in seinen grünen Augen erkannte er die erstaunliche Ähnlichkeit zu ihr.
»Ich würde Poppy niemals weh tun«, antwortete er müde.
»Nun mach mal halblang. Willst du mir wirklich weismachen, dass du nichts von ihr willst?«
James fiel darauf keine direkte Antwort ein. Gestern noch hätte er ehrlich Nein sagen können. Nein, er wollte nichts von Poppy. Denn es wäre das Todesurteil für sie und ihn gewesen. Erst als Poppy ihr eigenes Todesurteil erfahren hatte, hatte er sich erlaubt, seinen Gefühlen für sie nachzugeben.
Und jetzt - jetzt war er ganz eng mit Poppy zusammen gewesen. Er hatte ihren Verstand berührt und herausgefunden, dass sie sogar noch mutiger und großherziger war, als er gedacht hatte. Sogar noch mitfühlender - und verwundbarer.
Er wollte wieder so nah mit ihr zusammen sein. Er mochte sie so sehr, dass sein Herz schmerzte. Er gehörte zu Poppy.
Ihm war jedoch auch klar, dass das vielleicht nicht reichte.
Der Austausch von Blut schuf ein starkes Band und beeinflusste den Willen des anderen. Es wäre falsch von ihm, aus diesem Band einen Vorteil zu schlagen -
oder aus Poppys Dankbarkeit ihm gegenüber. Bis er nicht sicher sein konnte, dass Poppys Verstand klar war und ihre Entscheidungen wirklich ihre eigenen waren, sollte er ein wenig Abstand wahren. Das war nur ehrenhaft.
»Das Letzte, was ich will, ist, ihr weh zu tun«, wiederholte er. »Warum glaubst du mir das nicht?« Bei diesen Worten machte er den halbherzigen Versuch, Phils Blick auf sich zu ziehen. Aber genau wie schon in Poppys Zimmer klappte es nicht. Phillip schien einer der wenigen Menschen zu sein, die durch Telepathie nicht beeinflusst werden konnten.
»Warum ich dir das nicht glaube? Weil ich dich kenne. Dich und deinen Verschleiß an Freundinnen.« Phil spie die Worte förmlich aus. »Du verbrauchst sechs bis sieben in einem Jahr, und wenn du genug von ihnen hast, lässt du sie wie Müll einfach fallen.«
James war leicht amüsiert, denn Phil hatte tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Er brauchte sechs Freundinnen im Jahr. Nach zwei Monaten wurde nämlich das Band zu ihnen zu stark und damit gefährlich.
»Poppy ist nicht meine Freundin und ich werde sie auch nicht fallen lassen«, sagte er und freute sich darüber, dass er so clever war. Er hatte eine regelrechte Lüge vermieden. Poppy war schließlich nicht seine Freundin im normalen Sinn des Wortes. Ihre Seelen hatten sich
miteinander verbunden, das war alles. Sie hatten aber mit keinem Wort darüber gesprochen, fest miteinander zu gehen oder etwas in der Art.
»So, du willst mir also erzählen, dass du nicht versuchen willst, sie rumzukriegen, ja? Bist du dir da auch ganz sicher?« Während er sprach, tat Phil das Gefährlichste, was er je in seinem Leben gemacht hatte. Er packte James an der Hemdbrust.
Du blöder, schwacher Idiot, dachte James. Er überlegte kurz, ob er ihm jeden Knochen der Hand brechen sollte. Oder ob er ihn einfach hochheben und ihn quer durch die Garage in die Windschutzscheibe eines der parkenden Autos schleudern sollte. Oder …
»Du bist Poppys Bruder«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Deshalb gebe ich dir die Chance, mich sofort loszulassen.«
Phil sah ihm einen Moment ins Gesicht, dann ließ er ihn los und wirkte erschüttert. Aber nicht erschüttert genug, um den Mund zu halten. »Du musst sie in Ruhe lassen«, fuhr er fort. »Du verstehst ja nicht. Diese Krankheit, die sie hat, ist sehr ernst. Sie kann es jetzt nicht brauchen, dass jemand ihr Leben zusätzlich auf den Kopf stellt. Was sie braucht, ist …«
Plötzlich fühlte sich James sehr erschöpft. Er konnte Phil nicht übel nehmen, dass er so außer sich war. Phils Verstand war erfüllt von glasklaren Bildern, die zeigten, wie Poppy starb. Normalerweise sah James nur allgemeine
Bilder von dem, was Menschen dachten, aber Phil strahlte seinen Schmerz so laut aus, dass James fast taub davon wurde.
Halbwahrheiten und Ausflüchte hatten nicht gewirkt. Jetzt war es
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