Night World - Retter der Nacht
war groß und kräftig. Er trug einen schwarzen Jogginganzug und darüber eine Windjacke. Sein Gesicht bedeckte ein Dreitagebart und seine Haut war nicht besonders sauber. Aber das war nicht wichtig. Poppy interessierte nicht der Behälter, sondern nur sein köstlicher roter Inhalt.
Diesmal traf ihr Biss beim ersten Mal sein Ziel. Ihre wunderbaren neuen Zähne streckten sich aus wie Klauen und stießen in den Hals des Mannes. Er wehrte sich kurz, dann wurde sein Körper schlaff.
Poppy trank. Wilder Hunger überfiel sie, als sie die Adern anzapfte. Jeder Schluck gab ihr neues Leben.
Sie trank und trank und die Schmerzen verschwanden. Stattdessen erfüllte sie eine fast berauschende Leichtigkeit.
Als sie einen Moment innehielt, um Atem zu holen, spürte sie, wie sich ihre Lungen wieder mit kühler, herrlich frischer Luft füllten.
Sie beugte sich erneut hinunter, um weiterzutrinken.
In diesem Mann rauschte ein klarer Fluss und sie wollte alles davon haben.
Da zog James ihren Kopf zurück.
Er sprach gleichzeitig laut und in ihrem Verstand. Seine Stimme war gefasst, aber eindringlich. »Poppy, es tut mir schrecklich leid. Es war meine Schuld. Ich hätte dich nicht so lange warten lassen dürfen. Aber du hast jetzt genug gehabt. Du kannst aufhören.«
Oh. Sie war verwirrt. Am Rande bemerkte sie, dass Phil, ihr Bruder Phillip, sie voller Entsetzen anstarrte. James hatte gesagt, sie könne jetzt aufhören. Aber das bedeutete nicht, dass sie es auch tun musste. Sie wollte nicht. Der Mann wehrte sich jetzt überhaupt nicht mehr. Er schien bewusstlos zu sein.
Sie beugte sich wieder über ihn. James zog sie fast brutal hoch.
»Hör zu«, sagte er. Sein Blick war ruhig, aber seine Stimme hart. »Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem du dich entscheiden kannst, Poppy. Willst du ihn wirklich umbringen?«
Die Worte wirkten wie eine kalte Dusche und brachten sie wieder zur Vernunft. Töten, das war der Weg zu wirklich großer Macht, das wusste sie. Blut war Leben, Energie, Essen und Trinken. Wenn sie den Mann ausquetschte wie eine Orange, würde sie die Kraft seines ganzen Seins in sich aufnehmen. Und wer wusste, wozu sie danach fähig war?
Aber er war ein Mann und keine Orange. Ein menschliches Wesen. Sie war auch einmal eines gewesen.
Langsam und zögernd ließ sie von dem Mann ab. James atmete langsam aus. Er tätschelte ihre Schulter und setzte sich auf den Bürgersteig, als wollten ihn seine Beine nicht mehr tragen.
Phil sackte gegen die Wand des nächsten Gebäudes zusammen.
Er war abgestoßen und Poppy fühlte es. Sie konnte sogar einige seiner Gedanken lesen. Worte wie widerlich und unmoralisch. Und den Satz: Ist es das wert - ihr Leben zu retten, wenn sie ihre Seele verloren hat?
James fuhr herum und sah ihn an. Poppy fühlte das silberne Aufblitzen seiner Wut. »Du kapierst es immer noch nicht, oder?«, fragte er wütend. »Sie hätte dich jeden Moment angreifen können, aber sie hat es nicht getan, obwohl sie dem Tod nahe war. Du hast ja keine Ahnung, wie sich Blutdurst anfühlt. Es ist nicht so, als wäre man nur durstig. Nein, man fühlt sich, als ob man erstickt. Deine Zellen beginnen, aus Mangel an Sauerstoff zu sterben, weil dein eigenes Blut ihn nicht mehr transportieren kann. Die Schmerzen sind qualvoll. Poppy hätte dich anfallen können und sie wären vorbei gewesen. Aber sie hat es nicht getan.«
Phil war sprachlos und erschüttert. Er starrte Poppy an, dann streckte er unsicher seine Hand aus. »Es tut mir leid …«
»Vergiss es«, sagte James kurz. Er drehte Phil den Rücken zu und untersuchte den Mann. Poppy fühlte, wie er seinen Geist nach ihm ausstreckte. »Ich rede ihm ein, dass er den Zwischenfall vergessen muss«, erklärte er ihr. »Alles, was er jetzt braucht, ist ein bisschen Ruhe. Und die kriegt er auch hier. Wir können ihn ruhig liegen lassen. Schau, die Wunden beginnen bereits zu verheilen.«
Poppy sah es, aber es machte sie nicht glücklicher. Sie wusste, dass Phil sie immer noch verurteilte. Nicht nur wegen dem, was sie getan hatte, sondern wegen dem, was sie war.
Was geschieht mit mir?, fragte sie James wortlos und warf sich in seine Arme. Bin ich zu einem schrecklichen Monster geworden?
Er umarmte sie heftig. Du bist nur anders. Nicht schrecklich. Phil ist ein Trottel.
Am liebsten hätte sie darüber gelacht. Aber sie fühlte die Trauer hinter seiner beschützenden Liebe. Es war dieselbe tiefe Traurigkeit, die sie vorhin bereits in ihm gespürt hatte. James hasste es, ein
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