Nightschool. Du darfst keinem trauen
legte die Hand auf Allies Schulter. Ihre Stimme war leise und ruhig.
»Sie hat mich gebeten, dir nichts zu sagen, und ich musste ihren Wunsch respektieren. Du bist ihre Tochter, nicht meine. Ich finde es nicht richtig, dass sie dir die Wahrheit nicht erzählt, und das weiß sie auch. Aber ich konnte nicht einfach ihr Vertrauen missbrauchen.« Jetzt klang auch Isabelle so, als müsste sie gegen die Tränen ankämpfen. »Aber dein Vertrauen wollte ich eben auch nicht missbrauchen. Es tut mir sehr leid, dass ich dir nichts gesagt habe.«
Allie holte zitternd Luft. »Was verheimlichst du mir noch, Isabelle?«
Es folgte ein langes Schweigen.
»Erwachsene«, sagte Isabelle schließlich behutsam, »können jungen Menschen nicht immer alles erzählen, was sie wissen. So ist das nun mal. Sie erzählen ihnen gerade so viel, wie nötig ist, um sie zu schützen. Mit anderen Worten: Ja, ich verheimliche dir Dinge, bis du meiner Ansicht nach reif genug bist, von ihnen zu erfahren. Aber sobald es so weit ist, wirst du sie erfahren. Das musst du mir glauben.«
Zorn trat an die Stelle von Allies Kummer. Wieso meinen Erwachsene immer, sie wären besser geeignet, mit wichtigen Angelegenheiten umzugehen, nur weil sie älter sind? Wieso glauben sie, das gibt ihnen das Recht, einen anzulügen?
Doch Isabelle war noch nicht fertig. »Manches, vielleicht sogar das meiste davon sollte nicht von mir kommen, sondern von deinen Eltern. Ihnen musst du diese Fragen stellen und die Chance geben, dir gegenüber aufrichtig zu sein. Doch wenn sie es dir nicht sagen oder wenn du denkst, sie wären nicht aufrichtig, dann komm zu mir, und ich werde dir sagen, was ich darf.«
»Wie soll ich denn meine Eltern irgendwas fragen?«, fuhr Allie auf. »Ich habe sie die ganze Zeit nicht angerufen, weil ich abwarten wollte, ob sie sich melden. Wenn sie mich vermissen, habe ich mir gedacht, werden sie schon anrufen. Oder wenigstens schreiben. Aber sie haben es nicht getan. Sie sind zu nichts zu gebrauchen.«
»Deine Mutter hat nicht mit dir gesprochen, weil sie dir Zeit zum Nachdenken lassen wollte.« Isabelle klang betrübt. »Zeit, um dich zu entscheiden, ob du hier bleiben möchtest. Und ob du ihr vergeben kannst. Ich weiß ganz sicher, dass ihr leidtut, was sie dir damit zugemutet hat, aber sie kann es dir gegenüber nicht zugeben, so ist sie nun mal.«
Und flüsternd fügte sie hinzu: »Aber ich kann es.«
Allie vergrub ihr Gesicht in den Händen, damit Isabelle sie nicht weinen sah, doch da spürte sie, wie die Rektorin sie in die Arme nahm.
Später, als sie sich beruhigt hatte, reichte Isabelle ihr ein Taschentuch und drückte ihr wieder die Teetasse in die Hand.
»Du musst verstehen, Allie«, sagte sie, »dass du noch viel über dich lernen musst. Deine Familie hat eine lange, einzigartige Vergangenheit. Aber deine Mutter hat sich davon losgesagt, deshalb hat sie dir nichts darüber erzählt. Jammerschade finde ich das. Dein Stammbaum ist wirklich erstaunlich. Frag sie mal danach.
Ich hoffe, dass du deinen Eltern verzeihen kannst«, hatte Isabelle geschlossen. »Sie haben getan, was sie für richtig hielten.«
Rachel lehnte sich auf ihrem Sessel zurück. »Wow«, sagte sie. »Das ist ja ’n Ding. Egal, was Isabelle sagt: Ich find’s echt schwach, wie deine Eltern sich verhalten haben. Aber was Isabelle mit deinem Stammbaum meint, das macht mich total neugierig.«
»Es muss mit Lucinda zu tun haben«, sagte Allie. »Wer immer das ist.«
»Deine geheimnisvolle Möchtegern-Großmutter …«, grübelte Rachel. »Kein Zweifel – sie ist der Schlüssel. Hast du Isabelle nicht nach ihr gefragt?«
»Nein. Ich war zu sehr mit dem ganzen Meine-Eltern-sind-Scheiße-Scheiß beschäftigt.«
»Ich halt’s nicht aus!«, rief Rachel. »Wer ist das bloß?«
»Wenn ich das wüsste.«
Rachel sah sie herausfordernd an. »Du weißt, was jetzt kommt.«
Allie seufzte. »Dein Dad …«
»… weiß alles«, beendete Rachel den Satz. »Erlaube mir, dass ich ihm erzähle, was hier abgeht.«
»Carter möchte nicht, dass jemand anders etwas erfährt – schon gar nicht einer aus dem Aufsichtsrat wie dein Vater«, sagte Allie. »Er ist mir sowieso immer noch böse, weil ich dich eingeweiht habe.«
»Schön und gut«, sagte Rachel. »Aber hier geht es nicht um seine Familie, sondern um deine und meine.«
Da war was dran.
»Lass mich drüber nachdenken«, sagte Allie. »Vielleicht muss ich Carter ein bisschen bearbeiten.«
»Okay«, stimmte Rachel zu,
Weitere Kostenlose Bücher