Nightshifted
und mich damit auf die Couch setzte. »Aber was hätte ich denn tun
sollen?«
So wie es klang, hatte GroÃvater da einige
nachdrückliche Vorschläge. Aber hier hatte ich keine Kurzwahltaste mit einem
Ãbersetzungsservice am anderen Ende, und eigentlich hatte ich auch das Gefühl,
das Richtige getan zu haben. Andererseits ⦠wie oft hatte ich dieses Gefühl
schon gehabt, und dann hatte alles mit einer Enttäuschung geendet? Während ich
einen Moment still sitzen blieb, um darüber nachzudenken, fiel mir ein dunkler
Fleck auf meinem ohnehin bereits braunen Teppich auf. Ich griff danach und
hätte ihn fast in den kurzen Fransen des Teppichs verloren, bevor ich ihn
endlich aufheben konnte.
Hätte ich es vorher nicht schon einmal gesehen, hätte
ich es wohl nicht erkannt, sondern es für einen Zeitungsschnipsel oder eine
platt getretene Brotkrume gehalten. Aber in Wirklichkeit war es ein winziges,
in Sepiatönen gehaltenes Gesicht, das Gesicht von Annas Bruder â okay, das
konnte ich nicht sicher wissen. Doch es war definitiv das Gesicht des Jungen,
der auf dem Foto neben ihr gesessen hatte. Sorgfältig rausgerissen und
entsorgt, von Anna persönlich.
Plötzlich war ich nicht mehr ganz so zufrieden mit
dem Verlauf der Dinge. Ich beschloss, GroÃvater mit ins Schlafzimmer zu nehmen.
Kapitel 27
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Ich wurde schlagartig
wach, als ein reiÃendes Geräusch an meine Ohren drang. Im Zimmer war es dunkel,
und in meinem Kleiderschrank befand sich ein Monster.
Als es daraus hervorkam,
sprang ich aus dem Bett. Die Schranktüren wurden so heftig aufgestoÃen, dass
die Rädchen in den Gleitschienen klapperten. Saubere Kleidung hatte nicht
sonderlich viel dazu beigetragen, Annas Geruch zu verbessern. Wie sagt man
einem Vampir, dass er mal ein Bad nehmen sollte?
Sobald sie sich aus meinen Kleidern befreit hatte,
drehte sie sich um und trat so fest gegen die Schranktür, dass in dem billigen
Pressspan ein sichtbares Loch zurückblieb.
»Hey!« Ich stabilisierte schnell die klappernde Tür.
»Das wäre aber nicht nötig gewesen.«
Sie drehte sich zu mir um. »Bring mich zu seinem
Haus. Sofort.«
Ich brauchte eine Dusche. Und auch sie brauchte
unbedingt eine Dusche. Aber je schneller ich sie zu Mr. Novembers Wohnung
brachte, umso schneller würde sie mir helfen, und umso schneller würde sie
wieder aus meinem Leben verschwinden â das sie offenbar unbedingt zerstören
wollte, ein Möbelstück nach dem anderen.
Ich wedelte beschwichtigend mit den Händen. »Vorher
muss ich mich noch anziehen.«
»Beeil dich«, meinte sie nur und wandte sich ab.
Während ich hinter ihrem Rücken nach einer Jeans
suchte, wurde mir klar, dass ich nicht daran gedacht hatte, einen gewissen
Blutvorrat für die Zukunft zu stehlen, und ich war ganz bestimmt nicht scharf
darauf, meines oder das meiner Katze anzubieten. »Hey, wie hast du dich
eigentlich ernährt?«, fragte ich deshalb.
»Von den Obdachlosen«, seufzte Anna. »Sie schmecken
nach Alkohol; das hilft dabei, ihre anderen Mängel zu überdecken.«
Ich zog mir ein Oberteil über den Kopf. »Würg.«
Sie kicherte. »Keine Sorge, bisher habe ich noch
keinen von ihnen getötet.«
»Wirst du heute Nacht Blut brauchen?«
»Ich halte länger durch als die meisten anderen
Vampire. Und ich bin daran gewöhnt, mit wenig auszukommen.«
Puuuh. Immerhin war es eine Sache, auf eine
verrückte, wahrscheinlich sinnlose Schnitzeljagd zu gehen, aber eine ganz
andere, Beihilfe zum Angriff auf einen Unbeteiligten zu leisten. Ich nickte
kurz und griff dann auf der Suche nach meinem alten Mantel wieder in den
Kleiderschrank; dem Mantel, der dank ihrer Mithilfe durch jede Menge Blut
ruiniert worden war.
»An dieses Kleidungsstück erinnerst du dich
vielleicht noch«, meinte ich, als ich ihn ihr hinstreckte, damit sie ihn anzog.
Ihre Reaktion bestand aus völliger Teilnahmslosigkeit, fast als wäre sie
schizophren. Kein Lebenszeichen, nur ein ausdrucksloser Blick. In Büchern wird
diese Art von Starren oft auch als Symptom einer posttraumatischen
Belastungsstörung genannt. Aber die Leute, die bei uns im Krankenhaus einen
solchen Blick aufsetzten, waren keine Ãberlebenden des Vietnamkrieges â sie
überlebten ihre ganz persönliche Geschichte, die sich immer und immer wieder in
ihrem Kopf abspielte.
»Ich nehme das Wetter
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