Nightshifted
Haken. »Ich werde jetzt ihre Lunge abhören â¦Â«
»Bitte sehr.« Er schlug die Bettdecke zurück und
entblöÃte einen fassartigen Oberkörper mit dürren Beinchen darunter. Als ich
den Plastikkamm in seiner Socke entdeckte, musste ich mir auf die Zunge beiÃen.
Er war entweder mal im Knast gewesen oder ein Obdachloser. Vielleicht auch
beides. Nur eine gewisse Zeit ohne nennenswerte Besitztümer oder verlässliche
Taschen führte dazu, dass jemand Dinge in seinen Socken mit sich herumtrug. Er
war allerdings zu gebräunt, um in letzter Zeit irgendwo in unserem eisigen
Staat eingesessen zu haben.
»Wo wohnen Sie, Mr. Galeman?«
»Man nennt mich nur Gale«, sagte er bloÃ, dann
schloss er die Augen und lehnte sich im Bett zurück, während ich das Stethoskop
an seine Brust drückte. Ich lauschte auf seine raue, feuchte Atmung; das
Geräusch von jahrelangem Zigarettenkonsum in Verbindung mit schlechtem Wetter.
»Wo nennt man Sie so?«, fragte ich wieder, als ich
fertig war.
»Im Depot.«
Ich kannte das Depot. Es war Jakes zweites Zuhause.
»Hat Ihnen jemand erklärt, was Ihnen zugestoÃen ist?«
»Ja, bin von âner tollwütigen Katze erwischt worden.«
Fassungslos schüttelte er den Kopf.
Ich tat so, als wäre ich verblüfft. »Wirklich? Haben
Sie sie gesehen?«
»Na ja, sah aus wie ein kleines Mädchen. Wie ein verfrorenes
kleines Mädchen.« Ich biss mir auf die Lippe, um meine Miene neutral zu halten,
während er mit leicht schleppender Stimme fortfuhr. »Aber manchmal trinke ich
einen über den Durst. Einmal hab ich Wally eins übergebraten, weil ich dachte,
er wär ein Dämon, und als ich dann aufgewacht bin, war er gar keiner. Das muss
also âne Katze gewesen sein, die so aussah wie ein kleines Mädchen.« Er zuckte
mit den Schultern, als würde so etwas ständig passieren. Selbst wenn die
Schatten nicht eingriffen, was sie sicherlich tun würden, wenn wir ihn
entlieÃen, würde er irgendwann glauben, dass es eine Katze gewesen sei. Das
wäre dann nur ein weiteres Beispiel für das unglaubliche Pech, das ihn schon
sein ganzes Leben lang verfolgte und ihn überhaupt erst in diesen Zustand
gebracht hatte. (Und das natürlich nichts, wirklich rein gar nichts, mit dem
Alkohol zu tun hatte, bestimmt nicht, genauso wie für Jake sein Absturz
überhaupt nichts mit dem Heroin zu tun hatte.)
Er würde jedenfalls niemals glauben, dass es ein fast
hundertjähriger Vampir gewesen war, der aber wie eine Neunjährige aussah.
Ich beendete die Untersuchung mit höflicher
Distanziertheit, fühlte ihm den Puls und untersuchte die Zugänge nach Zeichen
möglicher Infektionen. Auf seiner Stirn sammelten sich SchweiÃperlen, die er
mit einer Hand abwischte, bevor er anfing zu zittern.
»Hätten Sie gerne eine warme Decke?«, fragte ich, da
ich keine Lust hatte, mit ihm die klassischen Anzeichen eines Alkoholentzugs
durchzumachen. Er bekam bereits alle sechs Stunden sechzig Milligramm Valium.
Mehr konnte ich nicht für ihn tun.
»Klingt gut«, nickte er.
Wenig später kehrte ich mit einem Stapel dicker
Decken zu ihm zurück. »Gibt es hier drin denn nichts zu trinken?«, fragte er,
als ich die Decken ausbreitete. »Nicht mal ein Schlückchen?«
Ich schüttelte den Kopf. Hätte man ihm die Wahl
gelassen, entweder auf der StraÃe am Blutverlust zu sterben oder ohne Sprit
hier drin zu sein ⦠es war leicht zu erraten, was er sich ausgesucht hätte.
Oder zumindest, wofür er sich nach zwei Tagen entscheiden würde. »Keinen
Tropfen, Mr. Galeman. Keinen einzigen Tropfen.«
»Hmpf.« Mit der linken Hand, an der kein Zugang
gelegt worden war, tastete er nach dem Druckverband an seinem Hals. »War aber
âne ganz schön groÃe Katze.«
Ich sorgte dafür, dass ein mitfühlendes Lächeln auf
meinem Gesicht klebte. »Ganz bestimmt.«
Â
Ich zog mich aus dem
Krankenzimmer zurück und winkte Meaty zu. »Pinkelpause!«
Als Meaty nickte, lief ich schnell von der Station in
den Umkleideraum, zog mein Handy aus der Handtasche und wählte Jakes Nummer,
sobald die Tür des Umkleideraums hinter mir zugefallen war.
»Geh ran, geh ran, geh ran â¦Â« Durch Y4 wurde mein Bruder zwar
vor den Veheerungen des Heroins geschützt. Aber was, wenn er gerade irgendwo in
einem StraÃengraben lag
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