Nightshifted

fortfuhr: »Aus diesem Grund
sind unsere Fähigkeiten, mit der Außenwelt zu interagieren, begrenzt, und in
unserer Karte sind kürzlich gewisse Unstimmigkeiten aufgetreten.«
    Â»Und?«
    Â»Gewisse Gebiete sind für uns erloschen. Irgendjemand
saugt den Schmerz ab, der rechtmäßig uns zusteht.« Mit einer knappen Geste
deutete der Schatten auf die wenigen, schmalen Flecke, die dunkel waren. »Ohne
Hilfestellung können wir nicht einfach in diese Gebiete in der Oberwelt
vordringen. Und selbst dann könnte eine genaue Ortsbestimmung für uns schwierig
sein.«
    Â»Vielleicht sind an diesen Stellen einfach alle
glücklich?« Eigentlich konnte ich mir keinen Ort im Bezirk vorstellen, an dem
das tatsächlich passieren könnte, aber wer weiß?
    Â»Das wäre höchst unwahrscheinlich. Wir nähren uns
nämlich auch von Glücksgefühlen – sie halten lediglich nicht so lange vor wie
Schmerz.«
    Â»Na toll.« Ich schürzte die Lippen. »Ihr habt
momentan also ein gewisses Informationsdefizit? Das irgendwo von oben stammt?«,
fragte ich und zeigte mit einer dramatischen Geste zur steinernen Decke.
    Â»Ja. Was eigentlich, da uns freier Zugang zu allen
verfügbaren Energien innerhalb der Bezirksgrenzen zusteht, unmöglich sein
sollte.«
    Nun konnte ich aus dieser gruseligen Multiton-Stimme
tausend Formen von Frustration heraushören.
    Â»Also sind alle innerhalb dieser fünf Bereiche
entweder tot oder …«
    Â»Von uns abgeschnitten, was einen Verstoß gegen
unseren Vertrag mit dem Konsortium darstellen würde. Und wir kennen den
physischen Aufenthaltsort des Eindringlings nicht. Das Fehlen von etwas können
wir nicht erspüren.« Die facettenreiche Stimme des Schattens reduzierte sich
auf eine einzige, die sogar noch schlimmer war als alle anderen. »Wir haben
seit Urzeiten einen gültigen Vertrag. Wir lassen nicht zu, dass man uns unsere
Rechte vorenthält«, zischte er.
    Dieser Stimme wollte ich lieber nicht in einer
dunklen Gasse begegnen. »Aber was kann ich da machen? Ich bin nur ich.«
    Â»Sei versichert, dass wir auch andere Fleischbrocken
zum Überwachungsdienst herangezogen haben.« Bei diesem Einwand kehrten auch die
anderen Stimmen wieder zurück. »Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass es
manchmal von Nutzen sein kann, auch über Abgesandte zu verfügen, die zu
eigenständigem Denken befähigt sind.«
    Ich schnaubte ironisch.
    Â»Hast du etwas in deinem Besitz, das du zu jeder Zeit
bei dir tragen kannst?«, wollte der Schatten nun wissen und wirbelte näher an
mich heran.
    Ich schaute an mir herunter. Bei der Arbeit nahm ich
meinen gesamten Schmuck ab, also Ohrringe und Halsketten, Ringe trug ich
sowieso nie. »Das hier«, meinte ich schließlich und hielt meinen Dienstausweis
hoch, der immer noch leicht glühte.
    Â»Gib es uns.«
    Ich zog mir das Trageband über den Kopf und
überreichte dem Wesen vorsichtig den Ausweis, damit ich es nicht berühren
musste. Dieser Ausweis war, schon bevor ich ihn übernommen hatte, von der
geheimnisvollen Pflegeverwaltung von Y4 mit gewissen Fähigkeiten ausgerüstet worden. Meine
Personalnummer war nur mit Klebeband an der Rückseite angebracht, und vorne war
mein Name draufgeschrieben worden. Er war nicht einmal mit meinem Foto
versehen.
    Der Schatten nahm den Ausweis und umhüllte ihn samt
Band mit seiner Schwärze. Dann kam mein Ausweis auf der anderen Seite wieder
zum Vorschein und wurde mir zurückgegeben. Ich griff genauso vorsichtig danach,
wie ich ihn übergeben hatte.
    Â»Solange du dies trägst, werden wir durch deine Augen
sehen«, erklärte der Schatten, während ich mir das Band wieder umhängte.
»Hautkontakt ist am effektivsten.«
    Â»War ja klar.« Ich ließ den Ausweis auf der
Außenseite meines Oberteils. Hinter mir ertönte der Klingelton der sich
öffnenden Fahrstuhltüren.
    Â»Nimm es niemals ab«, betonte der Schatten.
    Â»Ist gut.« Vor dem Licht des offenen Fahrstuhls
zeichnete sich der Schatten ab wie bei einer Sonnenfinsternis. Dann verschmolz
er mit dem Boden, wodurch ein winziger Tsunami ausgelöst wurde.
    Ich wollte so schnell wie möglich weg, da mir nun
auch mein Termin mit dem Anwalt wieder einfiel, zu dem ich jetzt zu spät kommen
würde. Den heutigen Tag zu überleben reichte nicht – nicht, wenn in drei Tagen
das Tribunal