Nightshifted

ja
keine Gebrauchsanweisung dazu bekommen hatte, vielen Dank, Schatten  –, waren sie
Tageslichtagenten, während ihr Sohn rein menschlich war. Er würde wohl
Vampirbluttransfusionen brauchen, um das Gen zu aktivieren, das ihn auf den
Pfad des Vampirismus schickte, ansonsten würde er den Rest seines Lebens als
Spender verbringen. Genau wie ich, falls ich überlebte.
    Ich fragte mich, ob seine Eltern sich vielleicht
etwas anderes für ihn wünschten, so wie es bei Annas Eltern der Fall gewesen
war, aber dieses Thema konnte ich ja schlecht ansprechen. Es war eine Sache,
ihnen zu sagen, dass sie ihrem Kind mehr Ballaststoffe zuführen sollten – sie
zu fragen, ob sie aus dem System aussteigen wollten, war etwas ganz anderes.
Ich blieb einen Moment zu lange dort stehen und starrte zu ihnen hinein,
während ich mich fragte, ob es vielleicht irgendein geheimes Netzwerk aus
Vampiren und mit Vampiren verwandten Menschen gab, das ihnen oder mir helfen
könnte. Als die Mutter mich bemerkte, tat ich so, als würde ich mir ebenfalls
die umwerfend interessanten Infomercials ansehen, dann flüchtete ich.
    Mein zweiter Patient hatte vor Kurzem noch
Intensivstationsstatus gehabt, war jetzt aber auf dem Wege der Besserung. Drei
Stichwunden in der Brust und eine zertrümmerte Kniescheibe, die sich
wahrscheinlich auch nicht von alleine zerschlagen hatte. Aber der Körper des
Tageslichtagenten kümmerte sich um alles, unterstützt von ein paar kleinen
Vamp-Infusionen, nur hin und wieder ein paar Kubikzentimeter. Er wollte sich
nicht von seinem Telefon trennen, da er gerade schwer damit beschäftigt war,
irgendwelche Geschäfte mit seinem Buchmacher zu tätigen, also maß ich seine
Temperatur in der Achsel statt im Mund. Vielleicht hatte ihn genau das ja erst
in diese Schwierigkeiten gebracht. Ich war allerdings nicht in der Stimmung,
mich deswegen mit ihm anzulegen.
    Während ich meine Akten auf den neuesten Stand
brachte und mir dabei ausreichend Zeit ließ, damit meine Handschrift leserlich
blieb, hörte ich plötzlich Meaty im strengsten Schwesternton rufen: »Edie –
komm sofort in den Pausenraum!«
    Panisch sprang ich auf und sah mich um. Außer mir war
niemand auf der Station zu sehen. Scheiße.
    Ich rannte zum Pausenraum und sah dort Gina, Charles
und Meaty, die sich um einen … Kuchen gruppiert hatten. Er hatte die Form eines
Sarges, war mit handgemachter Glasur überzogen und auf der Oberseite prangte
mein Name in blauem Zuckerguss.
    Irgendwo anders wäre das vielleicht morbide oder
geschmacklos gewesen – nein, es war auch hier morbide und geschmacklos –, aber an
ihren erwartungsvollen Gesichtern erkannte ich, dass es morbide, geschmacklos
und liebevoll gemeint war. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich sah sie der
Reihe nach an. »Danke, Leute. Wirklich. Ihr seid so süß.«
    Â»Na ja, weißt du …«, begann Meaty, zuckte dann aber
nur mit den Schultern.
    Â»Gina hat die ganze Arbeit gemacht. Ich habe nur hier
hinten mal probiert, zur Qualitätskontrolle«, erklärte Charles und zeigte auf
eine versteckte Fingerspur in der Glasur am hinteren Ende des Kuchens.
    Gina streckte Charles die Zunge heraus. »Hey, habe
ich dir eigentlich schon gesagt, dass du mir zwanzig Mäuse schuldest?«
    Â»Welche Geschmacksrichtung ist es denn?«, fragte ich
schnell, in der Hoffnung, sie so vom Thema ablenken zu können.
    Â»Zwanzig Mäuse?«, hakte Charles nach und warf mir
einen schiefen Blick zu. Prompt wurde ich rot vor Wut.
    Â»Wie hast du es denn geschafft, zwanzig Dollar für
eine Backmischung auszugeben?«, wunderte sich Meaty. »Du wirst es mir auslegen
müssen, ich habe nur einen Fünfer.«
    Â 
    Charles und Gina gingen
wenig später auf die Station zurück und Meaty folgte ihnen bald, sodass ich
alleine essen musste. Während ich den köstlichen Schokoladenkuchen mit
Brombeerfüllung genoss, wurde mir bewusst, dass ich damit schon das zweite Mal
in dieser Nacht Kuchen aß. Normalerweise hätte ich nun ein schlechtes Gewissen
bekommen, aber hey: Wenn dieser spezielle Kuchen zu meiner Situation so
hervorragend passte, konnte ich ihn genauso gut ganz verputzen. Meine Patienten
waren sowieso okay. Versonnen fragte ich mich, wen Ti da draußen gerade als
grausam vernarbter, wütender Zombie einschüchterte, und ob Sike und der
ehrenwerte Mr. Weatherton in meiner Sache