Nightshifted
weshalb wurde er eingeliefert?«
»Die offizielle Diagnose lautet Schizophrenie, aber
ich glaube, es ist eher ein Fall von Gestaltwandleritis. Manchmal ist er auch
eine sie, er wechselt öfter hin und her. Offenbar hat er die Kontrolle
verloren.«
»Wie äuÃert sich das?«
»Es ist wie bei einer multiplen
Persönlichkeitsstörung, nur mit einem anderen Körper für jede Persönlichkeit.
Man muss schon emotional und psychisch sehr stark sein, um dabei geistig stabil
zu bleiben. Und natürlich ist es besser für die Patienten, wenn sie möglichst
wenige Personen berühren. Irgendwie wird dadurch ihre DNS kontaminiert oder so.
Er ist jetzt fixiert und isoliert, aber das kommt eigentlich reichlich spät.«
Mitfühlend presste sie die Lippen zusammen. »Er hat sich die Augen ausgerissen.
Er meinte, er ertrage seinen eigenen Anblick nicht mehr.«
»Igitt.« Ich schauderte angewidert. »Kann er sie
nicht einfach durch eine Verwandlung zurückbekommen?«
»Nö. Hat was mit dem Massenerhaltungssatz zu tun. Sie
können zum Beispiel auch nicht schrumpfen, um wieder Kinder zu werden, oder
sich so weit aufblähen, dass sie fettleibig werden. Aber die Tiergestaltwandler
können von MenschengröÃe auf BärengröÃe anwachsen, da soll einer draus schlau
werden.«
Und ich dachte, ich hätte schwierige Patienten!
Andererseits konnte der Gestaltwandler ja nicht sehen, wenn Gina angewidert
war, sie musste es also nur schaffen, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Das ist sicher schwierig.«
»Das kannst du laut sagen. Ich muss alle sechs
Stunden die Verbände an seinen verstümmelten Augenhöhlen wechseln. Das ist echt
eklig.«
»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.« Die
Nachtschicht bekam immer das meiste von dem ab, was alle sechs Stunden gemacht
werden musste, da sie Mitternacht und sechs Uhr morgens abdeckte. Es gibt doch nichts
Schöneres, als direkt nach und direkt vor dem Ãbergabebericht einen Verband zu
wechseln.
»Mach ich.« Sie entfernte sich zwei Schritte weit,
kam die beiden Schritte dann aber wieder zurück. »WeiÃt du, du könntest dir
seine Daten aus dem Computer ziehen.«
»Was? Wessen Daten?«
»Die von Mr. Smith. Nur ein Vorschlag.«
»Du meinst Ti?«, fragte ich und grinste dabei
vielleicht ein wenig zu breit. »Das wäre gruselig und stalkerhaft und auÃerdem
absolut unethisch. Ganz zu schweigen davon, dass es gegen die
Datenschutzgesetze bezüglich der Patientenakten verstöÃt.«
Gina rollte mit den Augen, musterte mich dann aber
genauer. »Du ⦠du warst schon mit ihm aus!«
»Wer, ich? Nein.« Ich schüttelte übertrieben heftig
den Kopf und lachte.
Gina schlug die Hände zusammen. »Charles schuldet mir
zwanzig Dollar.«
»Ihr habt Wetten abgeschlossen?« Ich zwang mich zu
einem weiteren Lachen, während mein Magen sich schmerzhaft zusammenzog.
Vielleicht ging Ti ja jedes Mal, wenn er hier war, mit einer anderen Schwester
aus? »Um was habt ihr gewettet?«
»Wie lange es dauern würde, bis ihr beide ausgeht.
Charles dachte, du würdest mehr Zeit damit verschwenden, dich deprimiert
zurückzuziehen. Wegen des ganzen â¦Â« Gina schwenkte eine Hand über dem Kopf.
Vielleicht wollte sie damit die Unglückswolke andeuten, die mich offenbar
verfolgte. »Aber ich habe mir schon gedacht, dass du jemand bist, der schnell
zuschlägt.«
Ich schnaubte. »Tja, vielen ⦠Dank.«
»Das meine ich nicht.« Sie zögerte kurz, um die
richtigen Worte zu finden. »Ich denke eben, dass du eher dein Leben leben würdest, als dir zu
wünschen, du hättest es gelebt, verstehst du?«
Nicht ganz falsch. »Ja, verstehe ich. Danke«,
wiederholte ich, diesmal lächelnd.
Â
Meine Patienten waren
problemlos. Ein Achtjähriger â der mit dem Stuhlgang â, dessen Eltern an seinem
Bett wachten. Er hatte hohes Fieber gehabt und war dehydriert und befand sich
jetzt hier, um überwacht zu werden und Antibiotika zu bekommen. Er schlief tief
und fest, aber seine Eltern waren noch wach und sahen sich die Infomercials im
Spätprogramm an. Als ich kurz meine Blinzelsicht einsetzte, bemerkte ich, dass
die Eltern beide glühten, das Kind allerdings nicht. Soweit ich das beurteilen
konnte â und ich war mit meiner neuen Superkraft noch nicht sonderlich gut vertraut, da ich
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