Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
erfahrene Gaumen. Was immer auch einen interessiert … Kostbare Erinnerungen kann angeblich jede Erfahrung liefern, die man sich erträumen kann. Von einer Besteigung des Mount Everest zu einem Tauchausflug in den Marianengraben. Für einen angemessenen Preis, versteht sich. Aber niemand kann das mit Sicherheit sagen.
Die Kunden reden nicht darüber. Das ist ein Teil des Geschäfts. Die Kristalle sind sehr teuer und nur begrenzt erhältlich. Es gibt eine Warteliste, um auf die Warteliste zu kommen. Kostbare Erinnerungen ist in einer Position, wo sich der Laden die Kundschaft nach Belieben aussuchen kann, und genau das tut er auch. Auch wenn die Neugier darüber, wie so eine Erfahrung denn ist, überall immens ist, redet niemand darüber.“
„Ich bitte dich“, sagte Suzie. „Das ist die Nightside. Irgendwer redet immer.“
„Ein paar Kunden haben wirklich eine Andeutung oder zwei fallen lassen, doch die hat man von der Kundenliste gestrichen“, sagte ich. „Sie haben sich danach selbst umgebracht.“
„Ah“, sagte Chandra. „Dann ist der Konsum vielleicht stark suchterregend?“
„Könnte sein“, sagte ich. „Die Kristalle sind angeblich eine sichere Art, sich extrem gefährliche Dinge gefahrlos reinzuziehen. Das gilt natürlich nicht für jeden. Aber Risiko ist nun mal ein Teil des Spieles für alle, die in die Nightside kommen.“
„Die Tür ist offen“, sagte Suzie.
„Ja“, sagte ich. „Ich habe gesehen, wie der Wanderer sie aufgestoßen hat, und das ziemlich leicht, als könnten ihm die ganzen Schlösser und Sicherheitsmechanismen nichts anhaben.“
Wir blickten zur Tür, die einen kleinen Spalt offenstand.
„Da drinnen … scheint es sehr leise zu sein“, sagte Chandra. „Ich denke, wir haben die Pflicht, dem nachzugehen.“
„Gut“, sagte Suzie. „Versuch, mir nicht in die Quere zu kommen, wenn ich anfange zu schießen.“
Ich stieß die Tür mit einer Hand auf. Keine Reaktion, kein Alarm, nicht der geringste Laut von drinnen. Schlecht. Ich übernahm die Spitze und ging hinein, Suzie und Chandra folgten dicht hinter mir. Das Foyer von Kostbare Erinnerungen war eine stinknormale Eingangshalle – gemütliche Stühle, ein netter Teppich, geschmackvolle Drucke an den Wänden und eine beeindruckende, hochmoderne Rezeption. Alles ganz normal. Mit Ausnahme der Leichen, die überall herumlagen, und des Blutes, das bis weit nach oben an den Wänden hochgespritzt war und mit dem sich der Teppich vollgesogen hatte. Dutzende Männer und Frauen in sündhaft teurer Kleidung lagen blutverschmiert mit starren Augen da und hatten die Hände nach Hilfe ausgestreckt, die niemals kommen sollte. Man hatte sie alle erschossen, und das vor nicht allzu langer Zeit.
Ich bewegte mich vorsichtig vorwärts, stieg über Leichen und umrundete sie. Um uns herum war es absolut still. Chandra hatte sein langes Krummschwert gezogen. Tote bedeckten den Boden der Eingangshalle, niedergestreckt, wo auch immer sie gestanden hatten. Riesengroße Brustwunden, klaffende Löcher in Rücken, zerplatzte Köpfe. Der Gestank vergossenen Blutes war so überwältigend, dass ich ihn im Mund schmeckte, und es quoll aus dem Teppich, als ich darauf trat. Mehr Blut rann die Wände herab, teilweise begleitet von grauen Spritzern von Gehirn. Manche Tote sahen wie Kunden aus, andere wie Personal. Junge und Alte, alle mit der gleichen brutalen Effizienz ermordet. Herzschüsse, Kopfschüsse und Schüsse in den Rücken, wenn sie zu fliehen versucht hatten. Selbst die Empfangsdame war tot und saß zusammengesunken in ihrem Sessel hinter ihrem Schreibtisch. Sie war nur eine Teenagerin, doch der Wanderer hatte sie durch das linke Auge erschossen.
Chandra Singh bewegte sich eilig durch die Eingangshalle und kniete hier und da nieder, um einen Puls zu fühlen. Zunehmend verzweifelt suchte er nach jemandem, der überlebt hatte. Suzie schwenkte ihre Schrotflinte auf der Suche nach Zielen, nach irgendetwas, das sie erschießen konnte, hin und her. Die Toten machten ihr nicht zu schaffen. Sie hatte Schlimmeres gesehen. Ich stand in der Mitte des Foyers und suchte nach einem Zeichen, wohin der Wanderer gegangen sein konnte, doch die Leichen zogen meine Aufmerksamkeit immer wieder zurück auf sich. Achtundvierzig, hauptsächlich Männer. Im Foyer versammelt wie für irgendein Treffen. Manche hatte er in den Bauch geschossen, und ihre Eingeweide verteilten sich nun über den Teppich. Manche machten den Anschein, als hätten sie sich ergeben
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