Nikotin
Nein, die Ermordung des Pfarrers erscheint so unmöglich, dass ich mich noch immer frage, ob er nicht eines natürlichen Todes starb. Doch das we r den wir bald wissen. Im zweiten Fall hingegen kann jeder der anwesenden Gäste oder der Butler oder das Hau s mädchen Sir Bartholomew vergiftet haben.«
»Ich verstehe nicht recht…«, begann Mr Satterthwaite.
Aber schon riss Hercule Poirot wieder das Wort an sich: »Gelegentlich werde ich es Ihnen durch ein kleines Experiment beweisen. Jetzt aber gibt es Wichtigeres als das. Es ist notwendig – und Sie mit Ihrem mitfühlenden Herzen und verständnisvollen Wesen werden es b e stimmt begreifen –, dass ich nicht als Spaßverderber au f treten darf.«
»Sie meinen…« begann Mr Satterthwaite wiederum, diesmal mit dem Anflug eines Lächelns.
»Dass Sir Charles die Starrolle behalten muss. Er ist an sie gewöhnt. Und zudem erwartet jemand anders, dass er sie spielt. Habe ich nicht Recht?… Mademoiselle behagt es durchaus nicht, dass ich mich um diese Sache kümm e re.«
»Sie sind, wie der Volksmund sagt, sehr helle, Mons i eur.«
»Nein, nur nicht blind. Ich bin empfindsam, mon cher, ich wünsche bei einer Liebesaffäre zu helfen, nicht sie zu behindern. Sie und ich, Mr Satterthwaite, wir müssen gemeinsam wirken – für die Ehre und den Ruhm Charles Cartwrights. Ist es nicht so? Wenn der Fall geklärt ist…«
»Wenn«, bemerkte Satterthwaite sanft.
»Oh, ich erlaube mir keine Fehlschläge.«
»Nie?«, forschte Mr Satterthwaite.
»Es ist vorgekommen, dass ich für kurze Zeit etwas schwerfällig im Begreifen war«, sagte Hercule Poirot mit Würde. »Ich erkannte die Wahrheit nicht so rasch, wie es hätte geschehen müssen.«
»Aber gänzlich haben Sie niemals versagt?« Die Behar r lichkeit von Mr Satterthwaite beruhte auf Neugierde, re i ner, unverfälschter Neugierde.
»Also… einmal. Vor vielen, vielen Jahren, in Belgien. Wir wollen nicht darüber reden.«
Nachdem Mr Satterthwaite seine Neugierde und seine Bosheit befriedigt sah, beeilte er sich, das Thema zu wechseln.
»Sie sagten vorhin: ›Wenn der Fall geklärt ist… ‹«
»Richtig. Der Nachsatz heißt: ›… wird Sir Charles ihn geklärt haben.‹ Das ist wichtig. Ich werde nur ein winziger Zahn am Rad gewesen sein«, versetzte Poirot, indem er die Winzigkeit mit Daumen und Zeigefinger andeutete. »Dann und wann, hier und dort werde ich ein Wörtchen sagen… nur ein ganz, ganz kleines Wort. Ein Wink, nicht mehr! Mich verlangt es nicht nach Ehre, nicht nach Ruhm. Ich habe allen Ruhm, dessen ich bedarf.«
Mr Satterthwaite studierte seinen Gefährten mit Int e resse. Ihn amüsierte die naive Eitelkeit, der ungeheure Egoismus des kleinen Belgiers. Doch er verfiel nicht in den naheliegenden Fehler, sie als leere Ruhmsucht zu betrachten.
»Ich möchte gern wissen«, sagte Mr Sattertwaite g e dehnt, »was Sie selbst von dieser Angelegenheit erhoffen, Monsieur Poirot. Etwa die Aufregung der Jagd?«
Hercule Poirot schüttelte den Kopf.
»Nein, nein – das ist es nicht. Wie der Jagdhund folge ich zwar der Fährte, werde erregt und lasse mich nicht von ihr abbringen. Dies alles stimmt. Aber es steckt mehr dahinter. Es ist… wie soll ich es erklären? Ja, es ist eine Leidenschaft, zur Wahrheit zu gelangen. Auf der ganzen Welt gibt es nichts Merkwürdigeres, nichts Interessant e res und Schöneres als die Wahrheit.«
Nach diesem Bekenntnis folgte eine Pause. Dann griff der Detektiv nach dem Papier, auf das Mr Satterthwaite korrekt und säuberlich die sieben Namen geschrieben hatte, und las sie laut vor.
»Mrs Dacres, Captain Dacres, Miss Witts, Miss Sutcliffe, Lady Mary Lytton Gore, Miss Lytton Gore, Oliver Manders…
Sehr bezeichnend, wie?«, fragte er.
»Was ist bezeichnend?«
»Die Reihenfolge, mein Lieber.«
»Sie täuschen sich da etwas, Monsieur Poirot. Wir h a ben die Namen wahllos niedergeschrieben.«
»Deshalb eben. Die Liste beginnt mit Mrs Dacres. Da r aus schließe ich, dass man sie als den wahrscheinlichsten Täter betrachtet.«
»Nicht als den wahrscheinlichsten. Sagen Sie lieber: als den am wenigsten unwahrscheinlichen.«
»Eine dritte Fassung würde vielleicht noch treffender sein: Es wäre allen das Liebste, wenn von den sieben Pe r sonen sich Mrs Dacres als Täter entpuppen würde.«
Unwillkürlich öffnete Mr Satterthwaite die Lippen zu einer Entgegnung. Da kreuzte sich sein Blick mit dem freundlichspöttischen aus Poirots leuchtenden grünen Augen, und die
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