Nikotin
Taillenlinie stark ausg e prägt. Nein, zu diesem Rot würde ich nicht raten. Lieber die neue Farbe –Español. Senf mit einem Anflug von Paprika darin. Unbedingt kleidsam für Sie. Und dieses Mantelkleid? Lustig, bizarr, kokett, nicht wahr? Heutzut a ge darf kein Kleid ernst und streng anmuten.«
»Es ist sehr schwierig, sich zu entschließen«, sagte Egg. »Sehen Sie« – der Tonfall wurde vertraulich –, »ich habe mir bislang solche Toiletten nicht leisten können. Wir waren immer so schrecklich arm. Als ich Sie damals im ›Krähennest‹ in Ihrem unvergleichlichen Abendkleid sah, dachte ich: Wenn ich einmal Geld haben sollte, werde ich zu Mrs Dacres gehen und mich von ihr beraten lassen. Wenn Sie wüssten, wie ich Sie an jenem Abend bewu n dert habe!«
»Meine Liebe, Sie sind entzückend! Ach, ich gerate i m mer in Begeisterung, wenn ich ein junges Mädchen anzi e hen kann«, versicherte Mrs Dacres. »Und bei Ihnen ist es besonders reizvoll. Sie besitzen so viel Persönlichkeit. Daher dürfen auch Ihre Kleider nicht der Eigenart en t behren. Schlicht, aber prägnant – verstehen Sie? Bra u chen Sie verschiedene Toiletten?«
»Ich dachte an vier Abendkleider, ein paar Tageskleider, ein oder zwei sportliche Kostüme und dergleichen.«
Mrs Dacres’ honigsüße Art wurde noch süßer. Glückl i cherweise ahnte sie nicht, dass sich Eggs Bankguthaben auf fünfzehn Pfund zwölf Shilling belief und dass diese Summe bis Jahresende ausreichen musste.
Weitere Vorführdamen tänzelten vorüber. Dann streute Egg in die Unterhaltung eine andere Bemerkung ein: »Ich vermute, Sie sind seit damals nicht wieder im ›Krähe n nest‹ gewesen?«
»Nein. Ich konnte nicht, meine Liebe. Es hat mich so aufgeregt… meine Nerven sind zart, und außerdem Künstlerkreise – Gott, sie liegen mir nicht sehr.«
»Kannten Sie Mr Babbington nicht von früher?«
»Babbington?… Ah, Sie meinen den alten Herrn. Ich erinnere mich nicht, dass ich ihm schon früher einmal begegnet wäre.«
»Nein? Ich dachte, er hätte es erwähnt. Nicht in Cor n wall allerdings. Er sprach von einem kleinen Ort, Gilling.«
»So? Nun, ich erinnere mich nicht.« Mrs Dacres’ Augen hingen an dem Mannequin. »Nein, Marcelle – ›Petit Sca n dale‹ möchte ich der Dame zeigen – das Jenny-Modell. Und anschließend das blaue von Patou.«
»Ist es nicht unfassbar, dass man Sir Bartholomew ve r giftete?«, lenkte Egg wiederum ab.
»Meine Liebe, unfassbar ist noch zu gering gesagt…
Eine bezaubernde Kreation, nicht wahr? Jammersch a de, dass solche Kleider meist von den hässlichsten Frauen gekauft werden. Und jetzt das Patou-Modell. Wie g e schaffen für Sie! Sehen Sie diese entzückend komischen Rüschen. Jung, ohne langweilig zu sein. Ja, der Tod des armen Sir Bartholomew war fast so wie ein Glücksfall für mich. Man weiß, dass ich dort war. Als Verdächtige scheide ich praktisch ganz aus. Das gibt mir einen intere s santen Nimbus, den ich mit ein paar geschickten Worten noch verstärke. Dicke, sich langweilende, reiche Frauen kommen in meinen Modesalon, starren mich an und ka u fen nebenher ein paar Modelle. Und außerdem…«
Die Ankunft einer stattlichen Amerikanerin, die offe n bar viele hunderttausend Dollar ihr eigen nannte, unte r brach diesen Wortschwall, und während die Amerikan e rin ihre vielseitigen Wünsche vortrug, bewerkstelligte Egg Lytton Gore einen bescheidenen Abgang, indem sie der jungen Dame, die Mrs Dacres abgelöst hatte, erklärte, sie würde es sich noch überlegen, bevor sie eine endgültige Wahl träfe.
Als sie auf die Straße trat, blickte sie auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten vor eins. Binnen Kurzem konnte man zum zweiten Angriff schreiten!
Egg schlenderte bis zum Berkeley Square und machte dann wieder kehrt. Um ein Uhr betrachtete sie angel e gentlich ein Schaufenster mit chinesischen Stickereien und Porzellan.
Jetzt trat aus Mrs Dacres’ Modesalon Doris Sims und trippelte Richtung Berkeley Square davon. Ehe sie dort anlangte, sagte eine weibliche Stimme neben ihr: »Verze i hung, kann ich Sie eine Minute sprechen?«
Miss Doris Sims wandte sich erstaunt um.
»Sie sind als Mannequin bei ›Ambrosine‹ tätig, nicht wahr? Sie fielen mir heute Morgen auf, und ich hoffe, Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich Ihnen sage, dass Sie die vollendetste Figur haben, die ich je gesehen habe.«
»Sehr gütig von Ihnen, Madam«, entgegnete Doris Sims ein wenig verwirrt, aber keineswegs verstimmt.
»Und
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