Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
Vom Netzwerk:
er mit seinen Groschen auf den Gleisen herumturnt?«
    »Nein«, antwortete ich, obwohl ich oft genug am Fenster gestanden und nach ihm Ausschau gehalten hatte.
    Carola schlug die Beine übereinander und zupfte an ihrem Kleid, damit vom Bein nicht zuviel nackte Haut zu sehen war. Konnte aber auch sein, dass sie am Kleid zupfte, um auf ihre nackte Haut aufmerksam zu machen. »Sag ihm bloß nichts davon, dass ich dich besuchen gekommen bin. Wenn er das erfährt, bringt er mich auch noch um.«
    »Ich seh’ ja Reiner gar nicht mehr«, sagte ich.
    »Ich ebenso«, meinte Carola. Aus ihrem Munde hörte sich die Tatsache, dass wir ihn beide nicht mehr sahen, wie etwas an, das uns verband. Auf dieses Verbindende wollte ich gut und gerne verzichten.
    »Er würde mich natürlich gern sehen«, fuhr Carola fort. »Nur, ich bin im Internat. Und meine Eltern sind zwar blöd, aber so blöd, dass sie ihm sagen, wo das Internat ist, sind sie nun auch wieder nicht.« Sie sog kräftig Luft in ihre Nase, und einen Augenblick dachte ich, sie würde das nur tun, damit die Nase nicht anfängt zu bluten. »Mann, oh Mann, oh Mann«, sagte sie und schüttelte fast resigniert den Kopf. »Ich würde ihn eigentlich, an und für sich, warum denn nicht, auch gern sehen. Ich würde mit ihm sogar gehen wollen. Natürlich nur platonisch. Klar. Logisch, oder? Ich meine, ich bleib doch nicht dreizehn, um mir von ihm was reinschieben zu lassen. Das können die Erwachsenen machen, so viel wie sie wollen. Aber nicht ich. Punkt, aus, basta. Nur platonisch. Das wird Reiner allerdings kaum wollen. Logisch!«
    Ich fragte mich, was das heißt: platonisch. Es wäre mir jedoch peinlich gewesen, mich bei Carola danach zu erkundigen. Ich vermutete, dass platonisch bedeutet: ohne Reinschieben. Dass Nilowsky in diesem Sinne mit ihr gehen würde, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sein Schwanz wuchs ja viel zu rasch, wenn er nur an ihren Hintern und die herauswachsenden Kirschbäume dachte. Auf einmal spürte ich, wie mein Schwanz anschwoll. Es passierte mir zum ersten Mal, dass er, ohne dass ich ihn mit entsprechender Absicht berührte, anschwoll. Sozusagen vonselbst. Ich schaute kurz auf meine Hose, an der sich eine Beule bildete. Sofort drehte ich mich ein Stück von Carola weg, blickte zum Bahndamm und errötete trotzdem.
    »Was ist denn? Ist dir nicht gut?« Carola kam dicht an mich heran. So dicht, dass ich die klitzekleinen Sommersprossen auf ihrem Gesicht hätte zählen können. Ich dachte daran, wie sie mich hatte küssen wollen, und bekam Lust, sie zu küssen. Es wäre der erste richtige, der erste intime Kuss in meinem Leben gewesen. Mein Schwanz schwoll weiter an. Hauptsache, dachte ich, sie guckt nicht zu meiner Hose hinunter.
    Sie legte ihre Hand an meine Schulter, bewegte sie langsam hin und her. Die Bewegung ähnelte einem Streicheln, und ich dachte: Vielleicht sollte ich mich einfach umdrehen, zu ihr hinabbeugen und meine Lippen auf ihre legen. Vielleicht würde sie ihren Mund öffnen, damit sich unsere Zungen berühren könnten. Vielleicht aber würde sie mich auch nur verdutzt anstarren oder gar empört von sich wegstoßen. Ich konnte mich nicht entscheiden und bemerkte, wie meine Schulter mehr und mehr verkrampfte.
    Ich hörte den Achteinunddreißiger, genauer gesagt, in dem Moment, da ich ihn hörte, fiel mir ein, dass es sich um den Achteinunddreißiger handeln musste. Er ratterte an uns vorbei und ließ mein Zimmer vibrieren.
    »Mein lieber Herr Gesangsverein«, rief Carola aus, »das ist ja beeindruckend. Richtig faszinierend. Halleluja. Wie findest du das denn?«
    »Hab mich dran gewöhnt«, antwortete ich.
    »Und ich«, sagte Carola, »hab mich schon immer gefragt, wie es ist, hier zu wohnen. Halleluja.«
    Sie hielt die Arme waagerecht vom Körper weg und schloss die Augen, um das Vibrieren offenbar intensiver genießen zu können. Erst als der Zug nicht mehr zu hören war, nahm sie die Arme wieder herunter, öffnete die Augen und sagte: »Mann, oh Mann, das war eine Wohltat. Das war wie Tantra. Kennst du Tantra? Das ist indische Wohlfühlkunst. Die Kunst, Seele und Körper in Einklang zu bringen, wenn du verstehst, was ich meine. Hab ich mal irgendwo gelesen. Aber keine Bange, nicht bei Professor Schnabl.«
    Ich verstand nicht, was sie meinte. Ich hatte dieses Wort, Tantra, noch nie gehört. Von dem anderen indischen Wort, Karma, wusste ich wenigstens, dass es bedeutete, die selbst geschaffenen Probleme auflösen zu müssen.

Weitere Kostenlose Bücher