Nilowsky
mir denken, dass rotjelb die Nationalfarbe von Mozambique is, ick meine, wahrscheinlich mit Hammer und Sichel.« – »Keene Ahnung«, bekannte indessen Hanna, und Gerda mutmaßte: »Rot war bestimmt Pflicht, von janz oben, und die andere Farbe durften sie sich aussuchen. Wurden sie wahrscheinlich jefragt, noch bevor sie hier ankamen.« Trautchen ging mit ihrer Vermutung noch einen Schritt weiter: »Das hat das Politbüro mit Erich Honecker beschlossen, und dann musste das natürlich genau so umgesetzt werden, is ja wohl klar, oder?« Nur Lenchen gab keine Antwort, sondern fing an zu heulen und sagte: »Das mit die beiden Farben hab ick den Roberto ooch schon mal jefragt, und da hat der mir ’ne Antwort jejeben, die war derart schweinisch, dass ick die partout nich über die Lippen kriege.« Auch auf Nilowskys Drängen brachte Lenchen Robertos Antwort nicht über dieLippen. »Na gut«, sagte er, »wir legen den Mantel des revolutionären Schweigens darüber.«
»Und, wie ist sie nun, die richtige Antwort?«, fragte ich, als wir nach diesen Besuchen wieder allein auf der Straße waren.
»Na ja, die richtige Antwort …«, sagte Nilowsky, als wolle er Zeit gewinnen. Aber er wusste natürlich die richtige Antwort, oder er hatte sie sich zurechtgelegt. »Also, rot ist ja klar. Rot ist die Farbe der Arbeiterklasse, von Anfang an, schon immer, Farbe der Arbeiterklasse, wie die Farbe des Blutes, das in revolutionären Kämpfen vergossen wurde, revolutionäres Blut, Arbeiterklasse. Klar, keine Frage. Und gelb, das ist, gelb ist die Farbe des Neids. Aber unsere mozambiquanischen Freunde, die haben keinen Grund, neidisch zu sein. Hat also mit Neid nichts zu tun. Nein, gelb ist das Sonnenlicht, Gelb ist die Farbe der Wärme, der Lebensfreude, der Freundlichkeit. Und Gelb dient auch der Warnung. Seid vorsichtig, wir sind nicht zu unterschätzen! Auch das ist Gelb. Denk nur mal an die Chinesen, die gelbe Nation, zusammen mit den Afrikanern, schwarzgelb, passt auf, wir kommen, wir machen die Weltrevolution. Schwarzrotgelb, nicht zu verwechseln mit Schwarzrotgold, das ist die heimliche Flagge der Weltrevolution. Oder was meinst du? Was sagst du dazu?«
Nilowsky hatte sich in die Hochstimmung eines Predigers hineingeredet, sodass mir irgendetwas Einschränkendes oder gar Gegenteiliges zu sagen schlichtweg unmöglich vorkam.
»Ja«, antwortete ich, »ist logisch, wie du das erklärt hast, irgendwie logisch.«
»Gott, redest du verschraubt«, entgegnete er. »Hastdu wohl von Carola, was? Dieses Logisch. Logisch, oder? Das hast du von Carola, oder?«
Ich sagte nichts dazu und war froh, dass Nilowskys Wut so schnell wieder verflog wie sie gekommen war.
»Na ja«, sagte er, »seitdem ich die Wohnung meiner Oma übernommen hab, ist Carola meine Nachbarin. Das ist sie. Auch wenn sie nicht da ist, sondern in irgendeinem blöden Internat, da ist sie inzwischen. Nur ihre blöden Eltern sind da. Die Bonzen, die sagen kein Wort zu mir. Aber macht nichts, Nachbarin ist Nachbarin. Das steht fest.«
Das hörte sich an, als wäre die Tatsache, dass die beiden nun Nachbarn waren, ein durchaus großer Schritt zur späteren Hochzeit.
»Komm mit«, sagte Nilowsky voller Stolz, »ich zeig dir meine Wohnung.«
18
Die Wohnung von Carla Serrini war überfüllt mit schweren, dunklen Möbeln. Nur das Kanapee war goldgelb; und dass es von Blutflecken übersät war, betonte seine Leuchtkraft. »Kannst du dir wahrscheinlich denken«, sagte Reiner, »dass ich sie zu der Farbe überredet hab. Kannst dich ruhig setzen, setz dich!«
Er holte eine halbvolle Flasche Himbeergeist aus einer Kommode hervor, während ich mich auf die einzige Stelle des Kanapees setzte, die frei von Blutflecken war. »Ich finde«, sagte er, »ein Gläschen haben wir uns verdient bei der Kälte, ausnahmsweise mal. Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Kennst du nicht das Sprichwort? Außerdem, das ist ein edler Tropfen, ein lukullischer Tropfen ist das, anders kann man es nicht sagen.« Er goss zwei Gläser voll und reichte mir eins. »Alla salute, cin cin, salute. Dreimal Prost auf Italienisch. Klingt edel, was? Hab ich von Carla gelernt, hab ich das. Drei Arten von Prost.«
Wir tranken unsere Gläser gleichzeitig auf ex, und ich spürte, wie die wohlige Wärme des Himbeergeistes bis in meine Füße zog.
»Sie trank immer gern ein Gläschen, am Abend, ein einziges Gläschen«, fuhr Nilowsky fort. »Nicht mehr, keinen Tropfen mehr. ›Hält am Leben‹, meinte sie,
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