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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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austoben wollen, bevor es der Prozedur uneingeschränkt zur Verfügung stand, tapste in Robertos Hände, sobald er sie in den Käfig gestreckt hatte.
    »Dit passiert mir nie wieder«, sagte Wally mit aller ihr möglichen Verärgerung, band sich die Haare streng nach hinten, ging in die Küche und kam mit Flüssigreiniger zurück. Sie schrubbte den Teppich, die Schrankwand, die Tapete, das Fenster und schimpfte dabei unablässig: »Ihr renoviert mir dit Zimmer, wenn ihr schon dit arme Huhn nich festhalten könnt, wenn ihr zu blöd dazu seid, so ’n armet Tier vernünftig um die Ecke zu bringen …«
    Roberto indes hielt das Huhn mit der Wunde nach unten dicht über Nilowskys Oberkörper, auf dem sich die Blutstropfen sammelten, die Pedro langsam und gleichmäßig auf der nackten Haut verteilte, während Ricardo einen Sprechgesang anstimmte, der immer schneller wurde und aus dem ich »Carla«, »Carola« und »Serrini« herauszuhören glaubte, schließlich auch »FRELIMO« und »Revolution«. Auf einmal aber wurde Ricardos Gesang weicher und melodiöser, war kein Sprechgesang mehr, sondern erinnerte mich zunehmend an den eines Muezzins, wie ich ihn irgendwann in einem Fernsehbericht über die arabische Welt gehört hatte. Roberto, Pedro und ich summten mit. Sogar Wally blieb nicht ganz unbeeindruckt, beendete ihr Schimpfen und unterbrach ein ums andere Mal ihre Reinigungsaktion, um dem Gesang zu lauschen – freilichnicht ohne auch einen skeptischen Blick auf das tropfende Huhn zu werfen.
    Roberto holte aus seiner Hosentasche ein Fläschchen hervor, in das er nun Tropfen für Tropfen hineinfallen ließ, während Ricardo seinen Gesang beendete, Pedro mit dem Blut ein paar Kringel in Nilowskys Gesicht malte und abschließend sagte: »Ist vollendet.«
    Als das Fläschchen voll war, gab mir Roberto ein Zeichen, mit dem Eimer zu ihm zu kommen. Er warf das fast ausgeblutete Huhn hinein, woraufhin Wally mir den Eimer sofort aus der Hand riss. »So, dit wird jetzt ’n Suppenhuhn«, sagte sie. »Dit ess ick janz alleene.«
    Nilowsky erhob sich langsam und vorsichtig. Auf seinem langen, hageren Rücken waren die Abdrücke von neun plattgefahrenen Groschen, die in einem Halbkreis auf dem Teppich lagen. Ricardo machte eine ebenso tiefe Verbeugung vor den Groschen wie er sie vor mir gemacht hatte.
    »Jetzt bist du beschützt vor böse Geister«, sagte Roberto zu Nilowsky, »und der Fluch ist nicht mehr vor die Liebe von Carola zu dir.« Reiner nickte, und in einer Mischung aus Hoffnung und Vertrauen wirkte auch er nun wie ein gelehriger Schüler.
    Roberto wandte sich an mich: »Du musst diese Fläschchen mitnehmen. Wenn du Carola siehst, du musst sie bestreichen mit ein bisschen Blut. Irgendwo. Ist egal wo. Aber nicht sagen, warum. Am allerbesten, sie merkt gar nicht. Wenn sie gar nicht merkt, wird sie Reiner lieben, und sie wird heiraten mit Liebe.« Er gab mir das Fläschchen, überlegte kurz und fuhr fort: »Aber nicht alles von die Blut. Ein bisschen musst du aufheben. Für deine Mutter. Für Liebe zu mich.«
    Mir war es ein Rätsel, wie ich diese Aufträge erfüllen sollte. Gut, ich würde mich wohl nachts ins Schlafzimmer meiner Eltern schleichen können, aber Carola mit dem Blut in Berührung zu bringen, ohne dass sie es merkte, schien mir unmöglich. Ebenso unmöglich war es mir jedoch, Robertos Forderung abzulehnen. Er schaute mich derart erwartungsvoll an, dass ich noch nicht mal eine Frage stellte. Reiner hingegen hatte seinen Blick gesenkt und die Augen geschlossen. Er sah aus, als betete er. Und das setzte mich noch mehr unter Druck. Ja, ich musste es für ihn tun. Alles andere, dachte ich, würde ihn dermaßen vor den Kopf stoßen, dass er ganz bestimmt nie mehr mein Freund sein könnte. Er öffnete die Augen und sah mich prüfend an. Ich nickte, gab ihm damit zu verstehen, dass auf mich Verlass sei. Und plötzlich hatte ich eine Idee, womit ich ihm noch eine Freude machen konnte. Zumindest zeigte ich ihm mein Vertrauen, wenn ich davon erzählte.
    »Carola«, begann ich, »auf einmal stand sie bei mir vor der Tür, ohne Verabredung, einfach vor der Tür. Ich war total überrascht. Sie kam einfach rein. Und als wir in meinem Zimmer waren, sagte sie, dass sie mit dir ja gehen würde. Dass sie das tun würde. Aber nur platonisch, meinte sie, nur platonisch. Und sagte wieder: ›Logisch, oder?‹ Typisch Carola, findest du nicht …«
    »Was heißt das, platonisch?«, unterbrach mich Nilowsky.
    Ehe ich antworten konnte,

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