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Nimm dich in acht

Nimm dich in acht

Titel: Nimm dich in acht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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sich eingestehen, daß ihr die wohltuende Stille in der Wohnung, das Schweigen des Telefons und der ungewohnt aufgeräumte Zustand von Amandas Zimmer ein mit Gewissensbissen untermischtes Vergnügen bereiteten.
    In der vergangenen Woche war es an der Columbia Universität sehr hektisch zugegangen, da zusätzlich zu ihrem normalen Stundenplan Konferenzen des Lehrpersonals und Studentenversammlungen anfielen. Sie freute sich jede Woche auf den Freitagabend, eine herbeigesehnte und liebgewordene Oase des Friedens.
    Auch das Treffen der »Viererbande« – so hatten sie sich in den guten alten Zeiten genannt – bei Carolyn hatte ihr Spaß gemacht, ihr jedoch gefühlsmäßig auch einen Kater beschert.
    Die Präsenz einer bösen Kraft, die sie gespürt hatte, als sie den Türkisring in der Hand hielt, machte ihr immer noch angst. Seit Freitag abend hatte sie nicht mit Carolyn gesprochen, und als Pamela ihre Wohnung an der Ecke Madison und Sixty-seventh Street auf schloß, nahm sie sich vor, ihre Freundin anzurufen und ihr zu sagen, sie solle sich den Ring vom Hals schaffen.
    Sie schaute auf ihre Uhr. Es war zehn vor fünf. Sie ging gleich ins Schlafzimmer, vertauschte ihr konservatives dunkelblaues Kostüm gegen eine bequeme Hose und ein Hemd ihres Mannes, goß sich einen Scotch ein und setzte sich vor den Fernseher, um sich die Nachrichten anzusehen. Es würde ein geruhsamer Abend werden, ganz allein ihr Abend.
    Um fünf nach fünf starrte sie am Bildschirm auf den abgesperrten Abschnitt an der Ecke Park Avenue und Eighty-first Street, wo sich der Verkehr staute und eine Schar Schaulustiger einen blutbespritzten Transporter mit eingedrücktem Kühlergrill begaffte.
    Fassungslos und ungläubig hörte sie den Kommentator im Off sagen: »So sah es bis vor kurzem an der Ecke Park Avenue und Eighty-first aus, wo heute offenbar wegen des großen Andrangs von Fußgängern die vierzigjährige Carolyn Wells unter einen mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Transporter geriet.
    Sie wurde mit mehreren Kopf- und inneren Verletzungen umgehend ins Lenox Hill Hospital gebracht. Unser Reporter vor Ort sprach mit mehreren Augenzeugen des Unfalls.«
    Als Pamela aufsprang, hörte sie noch die bruchstückhaften Kommentare: »die arme Frau …«;
    »furchtbar, daß man ungestraft so fahren darf …«; »gegen den Verkehr in der Innenstadt muß etwas unternommen werden«. Dann rief eine ältere Frau: »Ihr seid ja alle blind.
    Sie wurde auf die Fahrbahn gestoßen!«
    Pamela blickte wieder auf den Bildschirm, als der Reporter mit einem Mikrofon zu der Frau stürzte.
    »Würden Sie uns bitte Ihren Namen sagen, Ma’am?«
    »Hilda Johnson. Ich stand in ihrer Nähe. Sie trug einen Briefumschlag unter dem Arm. Ein Mann hat ihn sich geschnappt. Dann hat er ihr einen Stoß gegeben.«
    »Ach, Unsinn, sie ist gestürzt!« rief ein anderer Passant.

    Der Sprecher ließ sich wieder vernehmen. »Sie haben gerade die Aussage einer Augenzeugin, Hilda Johnson, gehört, die behauptet, sie habe gesehen, wie ein Mann Carolyn Wells vor den Transporter gestoßen und ihr gleichzeitig einen Briefumschlag entrissen habe, den sie unter dem Arm trug. Obgleich Mrs. Johnsons Schilderung des Hergangs von den Beobachtungen aller anderen Zeugen, die sich am Unfallort befanden, abweicht, verlautet seitens der Polizei, daß sie ihre Aussage prüfen wird. Falls ihre Version standhält, würde das bedeuten, daß es sich nicht um einen tragischen Unfall, sondern möglicherweise um Mord handelt.«
    Pamela stürzte hinaus und holte ihren Mantel. Eine Viertelstunde später saß sie neben Justin Wells im Warteraum vor der Intensivstation des Lenox Hill Hospitals.
    »Sie wird operiert.« Justins Stimme klang matt und ausdruckslos.
    Pamela nahm seine Hand.
    Drei Stunden später kam ein Arzt zu ihnen. »Ihre Frau liegt im Koma«, sagte er zu Justin. »Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob sie es schaffen wird. Aber als sie in der Notaufnahme war, hat sie anscheinend nach jemandem gerufen. Es hörte sich an wie ›Win‹. Wer kann das sein?«
    Pamela spürte, wie Justin heftig ihre Hand drückte, als er stockend flüsterte: »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.«

    15
    Die achtzigjährige Hilda Johnson erzählte den Leuten gern, daß sie ihr ganzes Leben in der East Eightieth Street gewohnt hatte und sich noch an die Zeit erinnern konnte, als die Jacob Ruppert’s Brauerei in der Seventy-ninth Street die Luft mit dem durchdringenden Geruch von Hefe und Malz verpestet

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