Nimm doch einfach mich
Tisch. Da die Arbeitsplätze der Praktikantinnen an diesem Tag von Journalistikstudenten belegt waren, musste Avery mit einem Katzentisch in der Teeküche vorliebnehmen. Es war zum Glück sehr ruhig dort, weil die Angestellten der Metropolitan anscheinend nie aßen oder tranken. »Bringen Sie das in Ordnung!« Der zuoberst liegende Plan flatterte zu Boden und landete unter dem Getränkeautomaten. McKenna verdrehte die Augen, als wäre das nur ein weiterer Beweis für Averys himmelschreiende Unfähigkeit.
»Was stimmt denn damit nicht?« Avery blickte von Dut zenden Visitenkarten auf, die sie gerade ordnete. Sie hatte sich nach der Schule total abgehetzt, war praktisch mit dem Gong aus dem Klassenzimmer gestürzt, ins nächste Taxi gesprungen und ganze zwanzig Minuten früher in der Metropolitan – Redaktion angekommen als nötig. Eigent lich hatte sie vorgehabt, sich in Tickys Büro zu stehlen, bevor Gemma oder McKenna sie in die Finger bekamen.
Tja, der Plan war leider nicht aufgegangen.
Gemma hatte sie abgefangen, kaum dass sie am Empfang vorbeimarschiert war, ihr einen Berg Visitenkarten in die Hand gedrückt und ihr befohlen, die Karteninhaber zu googeln und alle Informationen, die über sie herauszufinden waren, zusammenzufassen. Obwohl sie irgendetwas von einem Artikel über die veränderten Körperpflegegewohnheiten von Männern gemurmelt hatte, war Avery sofort klar gewesen, dass die Visitenkarten alle von Typen stammten, mit denen Gemma etwas gehabt hatte oder noch haben wollte.
Das war mal wieder typisch. Bisher war sie nur McKennas und Gemmas Mädchen für alles gewesen. Sie war zu Barneys geschickt worden, um Fehleinkäufe umzutauschen, und zu Starbucks, um Kaffee zu besorgen. Einmal hatte sie für McKenna sogar ein Pillenrezept einlösen müssen.
Jetzt wissen wir wenigstens, dass sie nicht vorhat, ihre Sklaventreiberinnen-Gene zu streuen.
»Unser Kreativdirektor Gareth erträgt keine Asymmetrie«, schnaubte McKenna und sah Avery anklagend an. »Er will, dass die Heftklammern entweder horizontal oder vertikal ins Papier getackert werden. Auf keinen Fall schräg. Also, kriegen Sie das hin? Es ist wichtig, dass Sie lernen, auf solche Details zu achten.« McKenna trug ein umwerfendes braunes Strickkleid von Prada, das Scarlett Johansson gerade erst auf dem Oktober-Cover der Elle angehabt hatte. Wäre sie nicht so eine Superzicke gewesen, hätte sie mit ihrer makellosen Haut und den weißblonden Haaren als echte Schönheit durchgehen können.
»Aber die hab doch gar nicht ich zusammengeheftet!«, wagte Avery zu sagen. War McKenna denn nicht klar, dass sie sogar noch niedrigere Dienste verrichtete als die Laufburschen, die zum Kopieren abkommandiert wurden?
»Ich habe keine Zeit, mir anzuhören, was Sie gemacht oder nicht gemacht haben«, antwortete McKenna scharf. »Heften Sie die Dinger gefälligst neu. Sie werden in zehn Minuten beim Redaktionsmeeting im Konferenzraum gebraucht. Meinen Sie, dass Sie das schaffen, Praktikantin?« Als McKenna aus der Teeküche stürmte, warf sie dem Getränkeautomaten im Vorbeigehen einen abschätzigen Blick zu, als hätte Avery ihn in Eigenregie hier hereingezerrt, nur um sie zu ärgern. Na schön . Avery schnappte sich seufzend einen Klammerentferner und begann entschlossen, die bösen asymmetrischen Klammern aus dem Papier zu ziehen und die Pläne sauber zu heften.
Als sie fertig war, sahen ihre Fingerspitzen aus, als wären sie von Baby-Piranhas angeknabbert worden. Hastig legte sie die Redaktionspläne aufeinander und eilte damit den Flur entlang zum verglasten Konferenzraum. Als sie ein paar ranghohe Redakteurinnen über bunten Layouts die Köpfe zusammenstecken sah, begann ihr Herz aufgeregt zu klopfen. Vielleicht würde sich die Plackerei am Ende ja doch noch auszahlen.
»So, bitte schön.« Avery blickte sich mit einem warmherzigen »Lasst uns alle Freunde sein«-Lächeln im Raum um und begann die Pläne an die am Tisch sitzenden Redakteure zu verteilen. Niemand würdigte sie auch nur eines Blickes.
Nur einer. »Danke schön! Sind Sie neu hier?«, fragte ein Typ mit leuchtenden blauen Augen und schottischem Akzent lächelnd, als Avery die zusammengehefteten Blätter an seinen Platz legte. Er trug eine perfekt ausgewaschene Diesel-Jeans und einen blauen Wollpullunder über einem schwarz-weiß karierten Hemd und sah aus wie eine Mischung aus Rockstar und Literaturprofessor. An den meisten Typen hätte dieser Look albern ausgesehen, aber ihm mit seinem
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