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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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zum Nebenraum. Haben Sie da drin jemanden gesehen oder reingehen
    sehen?«
    »Dasselbe hat der Polizeimensch
gefragt. Nein. Hab’ überhaupt nicht auf die Tür geachtet, nur nach Paul gesehen
und seiner Darbietung.«
    Ich nickte.
    »Sie meinen — Serkoff stand jemandem im
Weg?«
    »Zumindest dem Scheinwerfern, erwiderte
ich. »Aber vielleicht war’s auch Reinold.«
    Durch mein Glas und den sinkenden
Schaum sah ich seine Augen auf mich gerichtet. Sie wurden dunkler und die
Pünktchen darin undeutlicher. Später merkte ich, daß das immer so war, wenn er
wütend wurde.
    »Den möchte ich erwischen, der ihm das
antut«, sagte er mit rauhen Stimmbändern. »Der einzige, der was taugt in diesem
Saftladen.«
    »Außer mir natürlich.«
    »Außer Ihnen natürlich. Was wird nun
herauskommen bei der Geschichte?«
    »Was in solchen Fällen herauskommt.
Kripoermittlung, Staatsanwalt, Anklage wegen Fahrlässigkeit und Tötung und was
weiß ich. Und Nathan oder die Beleuchter kriegen eins auf den Deckel. Die
Versicherung setzt ihre Anwälte in Bewegung, um sich vor dem Zahlen zu drücken,
die Fachpresse trauert, die Branche nimmt Anteil und verspricht, dem
Dahingeschiedenen ein ewiges und treues Andenken zu bewahren, weil er so viele
Jahre nicht nur mit Rat, sondern auch mit Tat und so weiter. Und weil sein
reiches Wissen und sein vornehmer Charakter — und wenn man vom Friedhof kommt,
hat man ihn schon vergessen, den edlen Menschen. Zum Henker, warum mußte er
sich auch da hinsetzen? Konnte er nicht stehenbleiben wo er gestanden hatte?«
    »Ja«, sagte der Jühl, »warum mußte er
sich auch da hinsetzen, warum ausgerechnet in dem Moment?«
    Ich trank mein Bier aus.
    »Ich fürchte, unser Kommissar wird
nicht so rasch Ruhe geben. Er sieht mir nicht danach aus.«
    Der Jühl sagte nichts. Er sah an mir
vorbei, und für einen Augenblick schien er mit seinen Gedanken ganz woanders zu
sein. Wir verließen die Kantine und waren beide in schlechter Stimmung. Der
Jühl trottete neben mir her, und mit einemmal wurde ich den Gedanken nicht los,
daß auch er dem Kommissar vielleicht nicht alles gesagt hatte, was er wußte,
was er gesehen hatte. Genauso wie ich.
     
    *
     
    Über den Toren zum Atelier sechs
brannten die roten Lampen, wie an einem siebenstöckigen Bordell. Es wurde
gedreht. Wir steckten die Hände in die Hosentaschen und starrten mit finsteren
Blicken in die Lampen. Sie brannten eine Ewigkeit.
    »Es wird eine Szene mit Esther und Paul
sein«, sagte ich nach etwa acht Minuten. »Da stehen wir übermorgen noch da.«
    Der Jühl nickte.
    Nach weiteren zwei Minuten verlöschten
die Lichter. Wir drückten uns leise durch die schmale Eisentür, die in das Tor
eingelassen war. Vom Dekorationsbau drang Stimmengemurmel .Schon von weitem s
ah ich, daß viel mehr Beleuchter auf den Brückenbalken waren als sonst.
Wahrscheinlich hatten sie je zwei neben einen Scheinwerfer postiert, um ihn
festzuhalten und alle zwei Minuten die Schrauben nachzuziehen.
    Ich hob die Sohlen über die Kabel und
schob mich durch die Filmschaffenden. Die Mienen waren überall ernster, die
Begrüßung gedämpfter, und die üblichen Witze unterblieben.
    Es war tatsächlich eine Szene mit
Esther und Paul gewesen. Sie hatten einen Disput gehabt in der Wohnung, über
Gaby, ihr mißratenes Kind. Esther war zum Ausgehen angezogen. Sie trug ein
Cocktailkleid aus Seidenjersey und einen Turban und hatte sündige Augen mit
Whiskysehnsucht, Paul war im Morgenrock mit einem Schal um den Galgenhals und
Hauslatschen, wie eine Spitzwegfigur auf Urlaub.
    Reinold stand in der Mitte. Er sah
immer noch so aus, als hätte er seit vorgestern nicht geschlafen. Seine
Anweisungen für die nächste Szene waren knapp und ohne Feuer, aber er brauchte
nichts zweimal zu sagen, weil alles aufmerksam zuhörte und keiner mit seinem
Nachbarn quatschte.
    Das Kamerateam mit seinen Monokeln aus
blauem Glas um die Hälse und mit den Blicken, vor denen alle Mädchen sich nackt
vorkamen, lauschte den Worten des Meisters Reinold mit Hingabe. Die Handlung
interessierte die drei Wackeren einen Dreck. Sie dachten nur in Linsenstärken,
Einstellungen und Lichtwerten und hätten auch für ihr Honorar acht Tage lang
die Schöpfungsgeschichte in Zeitlupe gedreht. Reinold war fertig.
    »So werden wir es machen, Kinder.
Beeilt euch mit dem Einleuchten. Und du, Paul, steh nicht nachher wieder so vor
der Kamera. Wenn du die Arme hängen läßt, wird man dir nicht glauben, daß du
jemals eine Tochter gezeugt

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