Nimm Platz und stirb
aber der
Hunger zog sich ein bißchen zurück. »Auf Serkoff«, sagte ich.
Die beiden rührten sich nicht. Ich kam
zum Tisch zurück.
»Was machen wir jetzt?«
Reinold legte die Hand über die Augen
und sprach leise.
»Ich habe heute keine Lust mehr,
Johannes, sei mir nicht böse.«
»Ich möchte jetzt auch nicht gerade ins
Kino gehen.«
»Gut, paß auf. Morgen ist Pause.
Ruhetag. Kirschbaum ist schon fort. Bleibt zwei Tage beim Verleih, um alles zu
regeln. Übermorgen drehen wir weiter. Dann reden wir, was zu reden ist. Heute
bitte ich dich nur, die Gaby nach Hause zu fahren. Ich muß noch warten, auf
einen von der Luxor.«
Das war der Haufen, bei dem er den
nächsten Film machen sollte.
»Armer Mann«, sagte ich. »In Ordnung.
Wenn es nach mir geht, können wir losschießen.«
»Nett von dir. Komm, Kindchen.«
Gaby kroch aus ihrem Sessel. Er küßte
sie auf die Stirn, aber er schien nicht bei der Sache.
»Nacht, Gabylein. Paß auf dich auf.«
»Ich mach’s schon«, sagte ich. »Nacht,
Stefan.«
Er blieb zurück, schwerfällig, mit
gesenktem Kopf, unendlich müde.
Unsere Schritte hallten auf dem Gang.
Niemand begegnete uns. Ich hatte auch keine Lust mehr, jemanden zu sehen. Zu
nichts hatte ich mehr Lust an diesem Tag.
Dann merkte ich, daß Gaby mich ansah.
»Hans?«
»Hm?«
»Ich wollte dich was fragen. Glaubst du...?«
Ich konnte ihr nicht sagen, was ich
glaubte. Wir blieben vor ihrer Garderobe stehen. Das Schild war in Augenhöhe.
Gaby Merlin
Wie Greta Garbo. Eine eigene Garderobe.
Auch das verdankte sie Stefan, dem Guten. Ich schloß die Tür hinter uns.
Der Geruch von Parfüm, der schon lange
in irgendwelchen Kleidern saß, lagerte in der Luft. Nach der Unordnung zu
urteilen, wurde die Garderobe von vier Mädchen benützt. Im Spiegelrahmen
steckte schräg ein Bild von Stefan Reinold.
Wieder sah Gaby mich an. Nicht mehr
frech und nicht mehr hochmütig. Sie flüsterte: »Glaubst du, daß jemand Stefan
umbringen wollte?«
Ich schwieg. Ich hatte geglaubt, der
einzige zu sein, der sich das fragte.
»Wer sollte ihn umbringen wollen?«
»Glaubst du es?«
»Nein.«
Gaby nahm ihren Mantel aus dem Schrank.
Ich half ihr und fragte hinter ihrem Ohr: »Wie kommst du auf diese Idee?«
»Ich weiß nicht. Ich habe so ein
komisches Gefühl. Seit ein paar Tagen schon. Irgend etwas ist nicht in
Ordnung.«
Sie sagte es so ruhig und bestimmt, als
hätte sie die Uhrzeit gesagt. Ich wischte mir über das Gesicht.
»Scheinwerfer sind oft runtergekommen.
Ich hab’ auch schon in Stefans Stuhl gesessen, wenn er frei war. Hätte ich es
heute getan, müßte Serkoff dich nach Haus bringen.«
»Das Ekel«, sagte sie laut.
»Sprich nicht so über einen Toten.« Ich
versuchte, Tadel in meine Stimme zu legen. »Er war doch nicht immer ein Ekel,
oder?«
Sie schlug den Kragen ihres Mantels
hoch.
»Er hat Stefans Blumen weggenommen.«
Ich starrte sie erstaunt an. Wie ein
Nobelpreisträger für Literatur sah ich sicher nicht aus in diesem Augenblick.
»Er hat was?«
Sie deutete auf die Vase neben dem
Spiegel.
»Vor drei Tagen hat mir Stefan Lupinen
geschenkt. Riesenstrauß. Weg ist er.«
»Woher weißt, du, daß Serkoff ihn
genommen hat?«
»Weiler so war. Er hat auch schon das
Bild zerrissen. Er hat ihn gehaßt.« Sie sah jetzt so wütend aus wie am
Vormittag vor der Kamera. »Am liebsten hätte er ihn umgebracht.«
»Er ist aber derjenige, der umgebracht
worden ist«, sagte ich. »Glaubst du, er inszeniert die Geschichte und setzt
sich im entscheidenden Moment selbst unter die Bombe?«
»Ich weiß nicht.« Sie flüsterte wieder.
Und wieder klang es echter und hilfloser, als sie es jemals im
Scheinwerferlicht herausgebracht hätte. »Ich habe Angst um ihn. Ich weiß nicht,
was ich machen sollte, wenn er...«
»Ich auch nicht.« Das war die Wahrheit.
»Aber er ist da und lebt. Und jetzt gehen wir.«
Ich schob sie hinaus. Schweigend gingen
wir den Weg zurück. Gaby warf einen Blick auf die Tür, hinter der Reinold saß.
Wir betraten die Galerie. Die Bohlen knarrten, und die Halle schwieg. Dann
kamen wir vorbei an der Dekoration, in der Serkoff gestorben war, und unsere
Schritte wurden leiser, als läge er noch da und wollte nicht geweckt werden.
Ich war froh, als ich draußen war. Ich
fuhr Gaby rasch nach Hause. Es reichte mir. Ich sehnte mich nach Elsie und ihren
zärtlichen Schimpfworten.
Elsie war das Gegenteil meiner
Idealfrau, die ich in langen Dienstjahren beim Film aus den
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