Nimm Platz und stirb
Fahrtenmesser. Auch das noch.
Wenn der Kommissar nicht bald den
Richtigen fand, würde er doch wohl auf mich zurückgreifen. Irgendwas mußte
geschehen. Zuvor war ein anderes Problem wichtiger. Ich bog in die Westallee
ein. Sie war fürchterlich lang. Viel Zeit hatte ich trotzdem nicht mehr.
Wie machte man das in den Drehbüchern,
einer Frau den Tod ihres Mannes mitzuteilen?
Verschiedene Methoden.
Man trat ins Zimmer und starrte sie an,
mit viel Mitleid und Hilfsbereitschaft im Blick. So lange, bis sie sich ans
Herz griff, zusammensank und wimmerte.
»Arthur! Er ist tot, ich weiß es.«
Oder man sagte mit brechender Stimme:
»Irmgard, jemand muß es dir sagen. Das
Los hat mich getroffen. Ich wäre lieber tot, als hier vor dir zu stehen!«
Dann wich sie im allgemeinen zurück an
die Wand, griff sich auch ans Herz und sank lautlos in sich zusammen.
Oder man trat vor sie hin, reckte sich,
sprach kalt und hart:
»Irene! Du kennst mich! Worte sind
nicht meine Freunde! Du bist Witwe! Seit heute morgen, acht Uhr
fünfundzwanzig!«
Dann kippte man einen Cognac hinunter.
Mir kam zum Bewußtsein, mit welch
entsetzlichem Unsinn ich so viele Seiten bedeckt hatte. Jetzt war es soweit,
und ich hatte keine Ahnung. Wenn sie ohnmächtig wurde oder schrie, was sollte
ich dann machen? Vielleicht war sie gar nicht zu Hause. Hoffentlich.
Ich trat auf die Bremse und nahm den
Gang heraus. Die Nummer 80 lag mit den anderen Häusern in einer Reihe.
Freundliche Balkons mit Blumen. Saubere, raffiniert fallende Gardinen und
Blattpflanzen hinter den meisten. Alles friedlich, sauber, ruhig, zwei Zimmer,
Küche, Bad, Balkon, das richtige Quartier für Frauen, die keinen Mann bekommen
oder solche, die ihn wieder verlassen hatten, nicht ohne ihm vorher das
Mietdarlehen aus der Tasche gezogen zu haben.
Ich schloß den Wagen ab, drehte die
Fenster hoch und verriegelte alle Türen, so langsam wie ein Bankdirektor seinen
Tresor. Die Rasenflächen vor den Häusern waren gepflegt und sauber eingefaßt.
Überall Holztafeln mit niedlichen Hundeköpfen. Ich muß hier an der Leine
bleiben.
Ich wanderte langsam über die
Steinplatten. Ein kleines Mädchen auf einem Roller schoß auf mich los. Gehorsam
wich ich aus.
Die Namen neben den Klingelknöpfen
standen auf den gleichen Tafeln, mit der gleichen Schrift. Ich fand den
richtigen sofort.
Vera Perrin-Reinold, erste Etage.
Ich läutete zaghaft und kurz. Der
Summerton machte meine Hoffnung auf einen Rückzug zunichte. Die Schuhe zogen
mit jeder Stufe mehr an meinen Füßen.
Veras Tür war angelehnt. Ich drückte
sie behutsam weiter auf. Die Diele war freundlich. Von hinten her trat Vera aus
einer Tür.
Ich kannte sie mit einer anderen
Frisur. Sonst war sie gleichgeblieben. Die Nase immer noch etwas zu lang, der
spöttische Mund, der noch immer die gleichen Worte herausließ. Die Augen weiter
auseinander als normal, mit der rechten Augenbraue, die immer ein bißchen höher
stand als die linke und einen zuckenden Winkel bilden konnte, wenn Vera
ironisch wurde. Ich hatte früher oft mit ihr gestritten und wußte das.
Sie trug ein Kleid aus braunem Tweed.
Ihre Figur hatte sich weniger verändert als bei den anderen Frauen, die ich bei
Reinold gesehen hatte.
»Hallo«, sagte sie, nicht ganz gleichgültig,
aber auch nicht erstaunt. Die Augenbraue hob sich eine Spur.
»Cognac habe ich nicht, Johannes.«
»Besser wär’s«, sagte ich leise. »Darf
ich reinkommen?«
»Komm.«
Sie wandte sich ab, ging zurück zu der
Tür, aus der sie gekommen war. Ich hängte meinen Mantel auf und folgte ihr.
Das Wohnzimmer bestand aus Kissen,
Teppichen, Bildern. Es war eins von der Sorte, wo man bleiben sollte und früh
mit der Bewohnerin Kaffee trinken. Die Sonne fiel vom Balkon herein, als gehöre
sie mit zur Einrichtung.
Ich setzte mich. Die Sessel waren so
weich wie das Lächeln eines Mädchens. Vera stand am Balkonfenster und goß die
Blumen mit einer kleinen roten Kanne.
»Entschuldige — ich bin gleich fertig.
Wenn du vor fünf Jahren gesagt hättest, daß du heute kommst, hätte ich eher
damit angefangen.«
»Stefan wollte nicht, daß dich jemand
von uns besucht«, sagte ich.
Sie lachte leise.
»Der große Stefan! Ich kenne dich ja
nicht wieder, Johannes. Woher hast du den Mut? Was wird er tun, wenn er es
erfährt? Seit wann denkst du nicht mehr an deine Zukunft?«
Sie blieb mit dem Gesicht zum Fenster.
Das Wasser plätscherte sanft aus der Kanne über die Blätter. Lieber gleich, und
es war
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