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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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erstickt war und das Gas und der Tod ihre
Schönheit ausgelöscht hatten.
    Ich nahm mein Glas vom Tisch. Der
Cognac brannte in meinem Mund, so langsam trank ich ihn. Durch die benetzte
Kugel sah ich die Bilder der Toten wie durch eine Linse. In welchem von Stefans
alten Filmen hatte ich sie gesehen? Ich glaubte, sie alle zu kennen. Vielleicht
war es auch ein Bild gewesen, das Stefan mir einmal gezeigt hatte, aber er
hatte doch nie etwas von ihr erzählt!
    Ich nahm das Glas weg. Als ich das
Gesicht wieder scharf sah, kam mir die Idee. Es war ein Hirngespinst und
Wahnsinn zugleich. Es berührte mein Gehirn so flüchtig, daß ich es kaum
aufhalten konnte. So wie ein Traumfetzen kurz vor dem Aufwachen. Aber dann
blieb es da. Die Bilder vor meinen Augen verschwammen. Alles um mich wurde
dunkel unter meinen Gedanken.
    Veras Stimme schreckte mich auf.
    »Ja, Johannes. Tut mir leid, wenn ich
dir eine Illusion geraubt habe. Meine ist längst zerstört.«
    Sie hatte mir eine Illusion geraubt,
aber eine andere, als sie glaubte.
    »Weißt du, wie sie hieß?« fragte ich.
    »Ja, natürlich. Andrea Lacon. Aber das
war ihr Künstlername.«
    »An den richtigen kannst du dich nicht
mehr erinnern?«
    »Nein, es ist ein Wunder, daß ich es
überhaupt erfahren habe. Aber ganz am Anfang unserer Ehe, in den Flitterwochen,
da war Stefan in Beichtstimmung.«
    »Hat er auch erzählt von — von dem
Gas?«
    »Nein. Das habe ich durch puren Zufall
gehört. Damals verkehrte er noch in einem Lokal, in so einer Künstlerkneipe, wo
er auch mit ihr gewesen war. Da war eine uralte Wirtin, die Jannings noch in
den Anfängen gekannt hatte. Eines Tages habe ich es von ihr erfahren. Ich habe
nie etwas zu Stefan gesagt. Er wußte auch nicht, daß ich diese Bilder noch
hatte. Aber als es soweit war mit uns beiden, hat es mir meinen Entschluß
leichter gemacht.«
    »Wann hat Stefan sie geheiratet?«
    »Neunzehnhundertsiebenunddreißig. Sie
war neunzehn.«
    »Neunzehn. Mein Blick war doch etwas
wert.
    »Und wann...?«
    Veras Schultern hoben sich leicht unter
dem Tweed.
    »Das habe ich nicht genau erfahren. Es
muß Anfang des Krieges gewesen sein. Vierzig oder einundvierzig. Er hat es nur
zwei oder drei Jahre mit ihr ausgehalten.«
    Ich wollte sie noch etwas fragen, aber
vielleicht hätte es sie gekränkt, deshalb unterließ ich es.
    »Vierzig«, murmelte ich, »zwanzig Jahre
her. Glaube nicht, daß deswegen — «
    »Ich glaube es auch nicht, Hans«,
antwortete sie mit ruhiger Stimme. »Nur — wer so veranlagt ist, leistet sich
auch andere Sachen. Und nun war das Maß voll.«
    »Kann sein, Vera.« Nach einer Pause
antwortete ich. Es kann aber auch etwas anderes dahinterstecken. Drei Tage
vorher ist Serkoff gestorben.«
    Sie richtete sich auf.
    »Valentin?«
    »Ja. Er setzte sich in Stefans Stuhl
während einer Aufnahme. Ein Scheinwerfer kam runter und erschlug ihn.«
    Ihre Augen waren groß, und sie bewegte
ihre Lider nicht.
    »Der Valentin auch? Das tut mir leid.«
    »Das hat mir auch leid getan. Und dann
hat es Stefan erwischt. Beide in einem Stuhl in Atelier sechs. Sie haben Platz
genommen und sind gestorben.«
    Ich kratzte an meinem Kinn herum. Es
war schon nicht mehr ganz glatt.
    »Es wäre immerhin möglich, daß jemand
was gegen diesen Film hat. Daß er die Aufführung verhindern will. Das hat er
erreicht. Kirschbaum hat abgebrochen.«
    Sie schwieg noch immer. Es war jetzt
dunkler im Zimmer. Nur ein schmaler Streifen der sinkenden Sonne fiel schräg
durch das Fenster, und die Blüten leuchteten nicht mehr.
    »Ich kann nichts dazu sagen.« Veras Stimme
klang leer. »Was es auch sein mag — er hat seine Schuld bezahlt. Ich habe ihm
nichts Böses gewünscht. Ich trage ihm nichts nach. Von mir aus hätte er auch
weiterleben können — wie er immer gelebt hatte. Sicher hast du mich für herzlos
gehalten vorhin — «
    Ich wehrte schnell ab.
    »Nein, nein, Vera — ich hab’ nichts
gewußt von dieser Geschichte. Sicher weiß ich auch vieles andere nicht — mach
dir keine Gedanken. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es dir beibringen sollte — und
dann war ich froh, daß du mir — , daß alles so glatt ging — ohne das übliche — «
    »Geschrei«, sagte sie. »Nein, Hans.
Deine Sorge war umsonst. Nach fünf Jahren schreit man nicht mehr.«
    Sie beugte sich über den Tisch und
wollte mir noch einmal eingießen.
    »Danke, Vera. Genug. Ich muß nach Hause,
und ich muß noch fahren.«
    Ich war schon mit weit mehr gefahren,
aber ich wollte fort. Fort und

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