Nimm Platz und stirb
so. Aber nicht immer — muß mich auch
um andere Sachen kümmern, wenn ich allein bin — , nur — «
»Was nur?«
Wittsteiner sah mich an, mit einem
scheuen Blick, als wollte er sich entschuldigen.
»Beim zweitenmal — als ich wieder
laufen ließ — , da hab’ ich im Kegel Herrn Trubo stehen sehen — bei Herrn
Reinold — › er war ja im Bild —«
»Herrn Reinold haben Sie nicht sehen
können?«
»Nein. Der saß — der war nicht im Bild —
«
»Was tat Herr Trubo?«
Wittsteiner flüsterte. Sicher glaubte
er, ich würde ihm niemals verzeihen.
»Er stand dicht vor ihm. So halb runtergebeugt.
Als ob sie miteinander redeten.«
»Und dann?«
»Dann kam Herr Trubo zum Telefon und
rief an, ich sollte aufhören — und ich sollte warten — , da hab’ ich gestoppt —
«
Natürlich, er war großartig. Mich hatte
er gesehen, als ich vor Reinold stand. Den Mörder hatte er nicht gesehen, der
von hinten gekommen war. Wer konnte das sein, der so eiskalt war, reinzukommen
und Reinold von hinten zu erstechen, vor dem laufenden Projektor und unter den
Augen des Mannes im Vorführraum? Ich hätte es nicht gekonnt. Hoffentlich kam
der Kommissar auch zu dieser Einsicht.
Er wandte den Kopf zu Reinold. Dann
wieder zu uns.
»Hm. Also müßte es so gewesen sein: Sie
gingen telefonieren, der Probestreifen lief an. Jemand kam herein, blieb im
Dunkel. Herr Reinold kümmerte sich nicht um ihn, Herr Wittsteiner hat gerade
nicht hingesehen. Der Jemand stieß das Messer in Reinolds Herz und ging wieder.
Vielleicht derjenige, den Sie auf dem Flur weggehen sahen, vielleicht auch
nicht. Dann haben sie gedacht, Reinold wäre eingeschlafen, und wollten ihn
wecken. Haben Sie das Messer angefaßt?«
Ganz nebenbei schnippte er die Frage
gegen mich.
Ich antwortete sofort.
»Nein. Ich bin mit der Faust
drangestoßen. Später, als ich ihn festhielt, habe ich mir das Blut an die
Finger geschmiert. Und ins Gesicht — aber das hab’ ich nicht gemerkt.«
Er wartete, Wittsteiner war wieder
dran.
»Können Sie hören, was hier gesprochen
wird?«
»Nein, Herr Kommissar. Ich höre nichts.
Das stört bloß. Ich krieg’ alles nur per Telefon, von den Cuttern oder jemand
anderem...«
»Verstehe.«
Der Kommissar schwieg. Er nahm sich
eine Zigarette. Er hatte lange nicht geraucht. Wittsteiner gab ihm Feuer, mit
hastigen Bewegungen, als wolle er dadurch besser wegkommen. Er war gut dran.
Ich saß mehr in der Klemme. Wenn sie den richtigen Mörder nicht bald hatten,
würden sie sich ja wohl an mich halten.
»Tja, meine Herren«, sagte Nogees
langsam. »Wir haben hier noch ‘ne Weile zu tun. Sie können nach Hause gehen.
Morgen früh um neun brauche ich Sie wieder. Alle drei. Ihre Adressen -«
»Sind bei mir«, sagte Röslin.
»Schön. Gute Nacht.«
Er drehte sich um und ging von uns weg.
Ich stand auf. Die beiden anderen auch. Es war nichts mehr zu tun. Sie
brauchten mich nicht mehr. Heute noch nicht.
An der Tür sah ich zu Stefan zurück.
Nicht mehr lange, und sie würden ihn fortbringen. Ich fühlte mich wie ein Kind,
das im Gedränge seine Mutter verloren hat.
Ich ging allein durch die Gänge, die
Treppen hinunter zu meinem Wagen. Draußen schien der Mond, aber alles war
dunkel um mich herum. Das Atelier sechs lag hinter mir wie ein mächtiges
Grabmal.
XIII
Am Morgen sah ich es wieder. Alle waren
gekommen. Niemand brauchte sie, außer der Polizei. Es wurde nicht mehr gedreht.
Sie standen in flüsternden Gruppen zusammen und liefen scheu durch die Gänge.
Manche blickten mir ins Gesicht, als hätte ich Aussatz, und manche taten es
überhaupt nicht.
Ich ging zu Röslin ins Büro. Er hockte
vor seinem Schreibtisch, mindestens so bleich wie ich.
»Morgen«, sagte ich. »Wenn der
Kommissar fragt, ich bin in meiner Bude.«
»Er ist in Reinolds Büro«, antwortete
er, »Sie sollen hinkommen.« Er schien froh zu sein, daß er nicht zu gehen
brauchte. Ich öffnete die Tür. Tina blickte mich an. Sie sah nicht verneint
aus, aber so, als würde sie nie eine andere Stelle annehmen.
Ich ging zu ihr, streichelte über ihr
Haar. Sie rührte sich nicht.
»Ich möchte mich am liebsten
aufhängen«, sagte ich.
Sie sah hoch zu mir. Ihre Pupillen
wurden etwas weiter. Ihre Stimme klang leise, und der sachliche Vorzimmerton
war so weit weg wie der Horizont. »Ob er — ob er Schmerzen gehabt hat?«
Ich streichelte sie wieder.
»Nein, Tina. Ich glaube, er war sofort
tot. Nein.«
Sie begann so plötzlich zu weinen,
Weitere Kostenlose Bücher