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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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mußte er verreisen. Sie
kennen doch unsere Branche. Erst passiert ewige Zeit nichts, und dann muß es
sofort sein. Spätestens gestern. Sonst bricht alles zusammen...«
    Sie war nicht zu überzeugen.
    »Nein, nein. Nie ist das vorgekommen.«
    Mir war unheimlicher zumute, als ich
zugeben wollte.
    »Es kann ihn jemand unterwegs
aufgehalten haben — hat er einen Wagen?«
    »Nein, er fährt schon lange nicht mehr
Auto. Kommt immer mit der Straßenbahn oder dem Bus.«
    »Oder ist er krank!« Ich erzählte ihr
lauter dummes Zeug, das ich selber nicht glaube. »Bei dem alten Herrn!«
    Dieser Trost schien anzuschlagen.
    Ihre Miene hellte sich auf.
    »Aber er hat doch Telefon...«
    »Manchmal hat man es nicht am Bett, und
das Aufstehen fällt schwer«, sagte ich. »Ist mir auch schon passiert, bis sich
eine mitleidige Seele erbarmt und Erste Hilfe leistet.«
    Zweifelnd sah sie mich an. Mir kam eine
Idee. Ob sie gut oder schlecht war, mußte sich erst noch herausstellen.
    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag,
Fräulein Schadewald, wie lange bleiben Sie hier?«
    »Bis halb fünf.«
    »Noch eine Stunde. Fein. Können Sie zu
Herrn Lobkowicz ins Haus rein?«
    Wider Erwarten nickte sie zaghaft.
    »Ja. Es liegt noch ein Schlüssel im
Schreibtisch — zur Reserve.« »Na, wunderbar. Um halb fünf verrammeln Sie diese
Burg, und wir beide machen uns auf und fahren hinaus zu ihm. Sie können sehen,
was mit ihm los ist, und ich erfahre vielleicht noch etwas über meine
verschollene Andrea. Er wird sich freuen, wenn sich jemand um ihn kümmert.«
    Ihr Gesicht war so, als sähe sie den barmherzigen
Samariter persönlich vor sich.
    »Sie würden wirklich...«
    »Ich würde wirklich. Ich habe nichts
mehr zu tun, seitdem unser Film gestoppt worden ist. Müßig lungere ich in den
Kneipen rum und komme auf dumme Gedanken.«
    »Aber Herr Trubo! Sie trinken?«
    Ich gab zu, hin und wieder ein wenig zu
trinken. Sie kam schnell darüber hinweg.
    Sie bedeckte Kinn, Lippen und
Nasenspitze mit dem Zeigefinger und dachte nach.
    »Ich könnte auch etwas eher — es kommt
heute niemand mehr — , müßte nur noch zwei Briefe schreiben — «
    »Noch schöner«, sagte ich. »War denn
der Herr Vanderberg da, der, der gestern angerufen hat?«
    »Nein, bin ganz froh. Hätte ihn doch
wieder wegschicken müssen.«
    »Na also. Dann schreiben Sie Ihre
Briefe. Ich werde ganz still sitzen und im Kopf das kleine Einmaleins
wiederholen.«
    Sie spannte hastig den Bogen in ihre
Maschine. Die Aussicht auf früheren Dienstschluß und eine Autofahrt machten sie
sehr lebendig.
    »Wollen Sie sich nicht bequemer
hinsetzen? Nebenan ist auch was zu lesen.«
    »Hoffentlich keine Drehbücher«, sagte
ich.
    Die Einrichtung im anderen Zimmer war
freundlicher. Offenbar residierte Herr Lobkowicz hier, wenn er im Büro war. Ich
ließ mich an einem kleinen Tisch in einen Polstersessel nieder. Nebenan begann
die Schreibmaschine zu klappern. Einige Fachzeitungen lagen herum. Ich
blätterte und las wahllos durcheinander. Vorn standen die gewaltigen Projekte,
die die Firmen planten, und hinten stand verschämt und in kleinen Buchstaben,
welche der Firmen Konkurs gemacht hatten. Ganz hinten konnte man lesen, wie die
Filme in Stadt und Land gegangen waren. »Mäßig. Schlecht. Befriedigend.«
    »Befriedigend. Mäßig. Schlecht.« Eine
deprimierende Lektüre. Ich wurde an meine Schulzeugnisse erinnert. Was wohl aus
mir werden würde, wenn der Inhalt der Zeitung nur noch aus Konkursmeldungen
bestand?
    Elsie würde mich ernähren müssen.
    Das Geklapper von nebenan währte nicht
lange. Fräulein Schadewald erschien im Mantel.
    »Ich wäre fertig, Herr Trubo. Aber nur,
wenn ich Sie wirklich nicht aufhalte...«
    Ich erklärte ihr, daß mein Entschluß
unabänderlich sei.
    Und da glaubte sie es.
     
    *
     
    Wir konnten den einsetzenden
Berufsverkehr gerade noch umgehen. Karlsdorf war ein Villenvorort mit
pensionierten Ministerialräten und Oberstudiendirektoren oder deren Witwen.
Fräulein Schadewald beschrieb mir den Weg zur Palmallee. Meine Hände am Steuer
wurden feuchter, je näher wir der Nummer sechsundzwanzig kamen.
    Lobkowicz hatte ein hübsches Häuschen.
Die Agentur schien mehr eingebracht zu haben, als ihr anzusehen war. Es war ein
Steingarten hinter dem Zaun mit niedlichen Gewächsen und schmalen Pfaden. Man
konnte sich vorstellen, wie Herr Lobkowicz unter einem Strohhut mit einer Harke
das Unkraut bekämpfte. Über die kleinen Fenster mit ihren Bleiglassscheiben
hingen Efeuspitzen

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