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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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ganze
Erscheinung.
    Sie saß auf einem Drehstuhl mit
federnder Lehne. Der Schreibtisch war mit Tinte bekleckst und so alt, als hätte
man darauf schon den Westfälischen Frieden unterzeichnet. Die rechte Wand war
vollständig durch ein Regal mit zahllosen Karteikarten verdeckt. Links führte
eine halb geöffnete Tür in einen zweiten Raum. Ein paar Filmplakate wären an
die Tapete geheftet und dazwischen die Bilder von Stars, die ich niemals in
meinem Leben gesehen hatte.
    Ich verbeugte mich ernst und gemessen,
wie es meinem feierlichen Aufzug geziemte.
    »Guten Tag, meine Dame«, sagte ich.
»Verzeihen Sie, wenn ich hier in Erscheinung trete. Ich heiße Trubo und bin im
Augenblick Autor bei der Sirius — bei Herrn Kirschbaum.«
    Ihr Gesicht wurde recht fröhlich.
Wahrscheinlich freute sie sich über die Abwechslung. Sie deutete auf einen
schlichten Stuhl neben dem Schreibtisch, »Bitte schön!« piepste sie entzückt.
»Wenn Sie sich setzen wollen!«
    Das wollte ich. Ich ließ mich
vorsichtig nieder und erwartete das Krachen der Stuhlbeine.
    »Frau Genkin hat mich an Herrn
Lobkowicz verwiesen.«
    Ich sprach wie ein Studienrat. »Sie
kennen Frau Cläre Genkin, Fräulein...?«
    »Schadewald«, sagte sie. »Ja, ich kenne
Frau Genkin. Besonders die alte Dame. War eine gute Kundin von Herrn Lobkowicz.
Nein, daß das passieren mußte!«
    Die nächsten zwei Minuten bedauerten
wir, daß das passieren mußte. Danach konnte ich fortfahren. Sie zeigte sich
über die Sirius bestens informiert. Als ich erzählte, daß ich gerade von Reinolds
Beerdigung käme, gingen wieder zwei Minuten drauf. Dann tastete ich mich
vorsichtig an den Grund meines Besuches heran.
    Ich beschloß, in der Nähe der Wahrheit
zu bleiben. Lobkowicz konnte jederzeit bei Cläre Genkin zurückfragen, und ich
war einmal mehr blamiert. Ich legte Andreas Bild auf die Tintenflecke, vor der
dünnen Dame.
    »Ich dachte mir, daß es der Polizei
vielleicht etwas nützt, wenn sie Reinolds erste Frau findet«, sagte ich. »Vor
dem Krieg soll sie in ein paar Filmen mitgemacht haben: Andrea Lacon. Den
richtigen Namen habe ich bis jetzt nicht herausfinden können. Adele Genkin
hätte ihn sicher gewußt — aber — , leider — «
    Wieder senkten wir die Köpfe und
gedachten der Verstorbenen.
    »Nun hat mich ihre Tochter an Herrn
Lobkowicz verwiesen. Betrachten Sie sich als meine letzte Hoffnung, Fräulein
Schadewald.«
    Sie musterte mich voller Mitleid. Ihre
blasse Zunge kam zwischen den Zähnen hervor.
    »Andrea Lacon«, murmelte sie. »Ach
wissen Sie, in dreißig Jahren hat man so viele Leute kennengelernt — die meisten
Namen weiß ich noch. Aber alle — ein paar hat man vergessen...«. Ich wußte es.
Mit den Freundinnen war es mir ähnlich gegangen. Ich erwähnte es nur nicht, um
Fräulein Schadewald nicht zu verletzen.
    Sie hob die dünne Figur vom Stuhl und
ging zu den Karteikästen.
    »Glaube nicht, daß ich sie finde — wenn
sie überhaupt jemals bei uns gewesen ist. Ich habe hier nämlich nur die Leute,
mit denen wir nach dem Krieg zu tun hatten — mit ein paar Ausnahmen, aber sonst...«
.
    Ich hoffte inständig, daß Andrea Lacon
eine Ausnahme sei. Fräulein Schadewald brauchte ihre ganze Kraft, um den Kasten
mit dem Pappschild La-Lor herauszuziehen. Schon wollte ich ihr helfen, als
neben mir das Telefon rasselte.
    Sie warf mir einen um Vergebung
bittenden Blick zu, ließ den Griff los und kam zum Tisch Zurück.
    »Agentur Lobkowicz, Schadewald. Guten
Tag.«
    Guten Tag. Das machten sie in den Büros
so, seitdem wir mit Amerika verbündet waren.
    Es war die Stimme eines Mannes,
ziemlich gepflegt. Offenbar ein Schauspieler. Ich schaute gelangweilt auf den
geölten Boden, aber ich hatte Jagdhundohren.
    »Nein, Herr Lobkowicz kommt heute nicht
mehr, Herr Vanderberg. Morgen nachmittag ist er wieder im Büro. Jawohl. Ab drei
Uhr. Doch, das können Sie. Ich gebe Ihnen die Adresse. Ja - gern.«
    Kleine Pause.
    Der Herr suchte nach Papier und
Bleistift.
    »Hallo? Ja. Er wohnt draußen in
Karlsdorf. Palmallee 26 - Telefon 11 46 11 — haben Sie? 11 46 11. Bitte sehr.
Sonst morgen nachmittag. Gern. Auf Wiederhören!«
    Fräulein Schadewald war wirklich eine
brauchbare Kraft. Sie legte auf und lächelte mich zutraulich an.
    »Irgendein Schauspielerchen. Klaus
Vanderberg. Habe ich noch nie gehört.«
    Ich hatte ihn schon gehört, aber ich
behielt es für mich.
    Sie wandte sich wieder den Karteikarten
zu. Unter ihren spitzen Fingern wirbelten sie wie die Karten bei

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