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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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alles vorbei war, gingen wir stumm
und langsam zwischen den Gräbern dem Ausgang zu. Ich entdeckte den Jühl
zwischen ein paar Leuten in einiger Entfernung von mir. Ich sprach ihn erst an,
als wir draußen waren.
    »Vielen Dank fürs Heimschleifen. Wenn
ich das gestern gewußt hätte, wäre ich etwas vorsichtiger gewesen.«
    »Taufrisch bin ich auch nicht gerade«,
sagte er. »Was war mit El sie?«
    »Sie war froh, daß wir uns ein wenig
amüsiert hatten. Was ich sagen wollte — morgen will ich zu diesem Lobkowicz
vorstoßen. Kommst du mit?«
    »Morgen kann ich nicht. Schularbeiten
bei Fanny. Übermorgen gern.«
    »Ich kann’s auch allein machen«, sagte
ich. »Wahrscheinlich kommt genausoviel dabei heraus wie bisher. Ich ruf’ dich
an.«
    »Gut. Was ist — kommst du nicht hier
mit runter?«
    »Muß unser braves Auto nach — abholen,
bevor es Rheuma kriegt. Rieche ich nach Sprit?«
    »Kaum wahrnehmbar«, erwiderte der Jühl.
    Er brachte mich noch an den Taxistand.
Ich stieg in einen Wagen. Einen Moment war mir so, als wolle der Jühl etwas
sagen. Aber dann kam nichts. Er hatte es sich offenbar anders überlegt.
    Ich fuhr los. Kurz vor der
Reinhardtstraße stieg ich aus. Es war halb drei, als ich vor Cläres Schnapsbude
stand. Ohne Dunkelheit und Leuchtschrift sah alles bieder und manierlich aus.
Man hätte nicht glauben wollen, was für Leute dort verkehrten.
    Ich bog um die Ecke. Mein Wagen stand
allein und verlassen. Die Scheiben waren ganz. Unter dem Scheibenwischer
steckte eine Einladung eines Strip-tease-Unternehmens.
    »Berauschende Schönheit enthüllt sich
vor ihren Augen! Versäumen Sie nicht dieses Erlebnis! Solide Preise!«
    Ich war nicht traurig, das Erlebnis der
soliden Preise mit achtzig Mark pro Flasche Hausmarke-Sekt versäumt zu haben.
Ich klemmte mich hinter den Volant. Der Motor knurrte ein bißchen, bevor er
ansprang. Ein paar Sekunden wartete ich noch, ob man mich mit einem
Waffenhändler verwechselt hatte und eine Haftladung unter mir hochgehen würde.
Es blieb ruhig.
    Da fuhr ich an. Ich nahm nicht die
Richtung auf meine Wohnung. Ich fuhr in die Belgradstraße zu Lobkowicz, obwohl
es noch gar nicht morgen war.
     
     
     

XVIII
     
    Das Haus Beldgradstraße 12b sah
wirklich so aus, als hätte es sechzig Jahre in der Altstadt von Sarajewo
gestanden und wäre gestern erst verlagert worden. Die Fassade war grau, von den
Schildern rechts und links der Tür hoben sich die Buchstaben nur noch mühsam
ab. Im Erdgeschoß residierte die Firma Walter & Sohn Nachf., Papiere
und Pappen, Kontor und Lager. Ein vertrocknetes Männchen stand hinter einem der
Fenster und verfolgte meinen Weg vom Wagen zur Tür. Ohne Zweifel der Lagerist.
    Ich suchte zwischen den Schildern
herum. Istvan Lobkowicz gab es. Er stand zwischen der Lichtpaus- und
Kopieranstalt Engels und der Firma Heizkraft, Roth & Co. Ziemlich weit
oben. Dritte Etage.
    Ich öffnete die Tür und trat im
Hausflur vorsichtig auf, um die Wanzen nicht zu wecken. Einen Fahrstuhl gab es
nicht. Nach dem ersten Stock begegneten mir zwei niedliche Büromädchen. Sie
machten große Augen, als sie mich in dem Begäbnisanzug sahen. Ein paar Stufen
hinter mir prusteten sie los. Noch vom Erdgeschoß her hörte ich sie kichern.
    Im dritten Geschoß war eine Tür mit den
gleichen Schildern wie unten. Dahinter verzweigte sich ein Gewirr von Gängen.
Ich mußte bei der Firma Heizkraft, Roth & Co. nach dem Weg fragen. Der
freundliche Herr Roth beschrieb ihn mir so gut, daß ich ihn ein Jahr später
noch auswendig wissen würde. Ich schämte mich direkt zu gehen, ohne ihm einen
Koksofen abgekauft zu haben.
    Eine Minute später hatte ich die Tür
gefunden. Sie sah gebrechlich aus, als wollte sie jeden Moment nach innen
fallen. Zum drittenmal las ich den Namen.
     
    ISTVAN LOBKOWICZ
    Theater-Film-Agentur
    Vermittlungen
     
    Vermittlungen waren ein weites Feld.
Vielleicht vermittelte er auch Kokain und Callgirls an Interessenten.
    Eine Klingel war nicht da. Ich klopfte
vorsichtig, um das Holz nicht zu zertrümmern. »Herein, bitte!« piepste eine
Stimme.
    Die Dame, die mich empfing, sah nach
nichts weniger aus als nach einem Callgirl. Eher wie eine Volksschullehrerin
kurz vor dem Ruhestand. Ihr Haar hatte einen Schimmer von Grau, aber sie ließ
es trotzdem noch in Wellen herunterhängen. Alles an ihr war dünn. Jedes Haar,
Arme, Beine, Lippen, Figur. Ober ihren blassen Augen trug sie eine Brille mit
schmaler Horneinfassung. Ihr Kleid war genauso mutlos wie die

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